Review

MetalcorePost-Hardcore

Kritik: Underoath - „The Place After This One“

Ein Album, das vor den Kopf stößt – und genau deshalb so viel Spaß macht.

VON

Wie kaum einer anderen Band gelingt es Underoath, sich selbst immer wieder neu zu erfinden. Sie gehörten zu den Aushängeschildern des melodischen Post-Hardcore der 2000er, lieferten mit „They’re Only Chasing Safety“ und „Define The Great Line“ zwei der einflussreichsten Genre-Alben ab, waren Lieblinge der Warped Tour-Crowd – und haben es seither perfektioniert, Erwartungen zu unterlaufen und ihre eigenen Fans vor den Kopf zu stoßen. „Erase Me“ (2018) lotete mit mehr hymnischem Alternative-Rock neue Wege aus, „Voyeurist“ (2022) war dann wieder eine aggressive Rückbesinnung auf Chaos und Härte, jedoch moderner und experimenteller als je zuvor. Und jetzt?

„The Place After This One“ ist das nächste Kapitel in der Geschichte von Underoath – und vielleicht das mutigste. Es ist eine Platte, die gleichzeitig härter, hektischer und unberechenbarer ist als alles, was die US-Amerikaner bisher gemacht haben. Ein Album, das heavy music neu definieren will, wie die Band selbst ankündigt.

Schon mit dem ersten Hördurchgang wird klar: Diese Platte atmet Unruhe. Sie ist ein rastloser Trip, der zwischen wilden Breakdowns, dystopischen Synthie-Welten und wütenden Hardcore-Attacken hin- und herspringt. Die Songs verweilen nie lange auf einer Idee. Melodien reißen ab, bevor man sich an sie gewöhnen kann. Beats wechseln von Industrial-Stakkato zu Nu Metal-Groove, nur um sich in einem Drum’n’Bass-Tornado aufzulösen. Die tonalen Wechsel auf dieser Platte sind atemlos, hektisch – und genau das macht sie so faszinierend.

Underoath erheben das Chaos zum Konzept

Los geht’s mit „Generation No Surrender“. Und der Opener könnte kaum klarer signalisieren, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt: Aaron Gillespies präzises, treibendes Drumming peitscht das Stück unermüdlich nach vorn, während schneidende Gitarrenriffs eine bedrohliche Grundstimmung erzeugen. Spencer Chamberlain schreit hier bereits mit einer Dringlichkeit, die das gesamte Album mitprägen wird. Im Refrain weitet sich der Sound kurz zu einer druckvollen Hymne, bevor die Band dem Track im Mittelteil abrupt den Boden unter den Füßen wegzieht.

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„Devil“ knüpft an diese Rastlosigkeit an. Die Vocals schwanken zwischen Gekeife und melodischen Ausbrüchen, die Instrumentierung zwischen Groove und Eingängigkeit. Hier lassen sich klar Einflüsse von Bands wie Bring Me The Horizon oder Enter Shikari heraushören. Kleiner Downer: Die pure Energie des Openers erreicht „Devil“ leider nie.

Dafür reißt „Loss“ das Steuer wieder herum. Der Track beginnt mit verstörenden, pulsierenden Synthesizern, nur um dann in ein Hardcore-Brett überzugehen, das jede Struktur von der Klippe stößt. Die Riffs überschlagen sich, der Rhythmus wechselt abrupt – Underoath treiben die Unberechenbarkeit immer weiter auf die Spitze.

Möglich wird das erst durch die Produktion von Danen R. Rector und Matt Huber, die dem Album eine kalte Klarheit verleiht. Jedes Instrument sitzt perfekt im Mix, jede Nuance ist hörbar. Es ist eine Soundwand: messerscharf – aber vielleicht schon zu steril?

„The Place After This One“: Zwischen Schönheit und Wahnsinn

Mit „Survivor’s Guilt“ erreicht das Album seinen emotionalen Tiefpunkt. Chamberlain verarbeitet hier seine eigene Vergangenheit mit gnadenloser Ehrlichkeit: „Seven years I’m clean; eight down in ’23 – I would have gone with them if it was up to me.“ Es ist ein Stück über Schuldgefühle, über das Überleben in einer Welt, die so viele nicht überlebt haben. Der Refrain schwebt fast, bevor er sich in einem gnadenlosen Breakdown auflöst – genau dieser Kontrast macht den Song so verstörend und packend zugleich.

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Dann kommt „All The Love Is Gone“. Und wenn man dachte, die Band hätte ihr Experimentierlimit erreicht, beweisen sie hier das Gegenteil: Elektronische Stakkato-Beats verwandeln sich in wummernde Bässe, bevor ein hymnischer Refrain den Song aufreißt – nur um ihn dann in einem brutalen Breakdown in den Abgrund zu reißen. Ein moderner Frankenstein von einem Song – und das ist durch und durch positiv gemeint.

Auch „Teeth“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Der Beat erinnert zunächst mehr an klassischen Hip-Hop als an Metalcore oder Post-Hardcore. Doch dann stürzt alles in einen chaotischen Strudel aus verzerrten Gitarren, elektronischen Fetzen und Chamberlains wütenden Shouts.

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Aber dann gibt es auch wieder Momente, in denen die Platte fast poppig wird. „Shame“ hat eine unverschämt melodische Bridge und einen nicht weniger eingängigen Refrain. Aufgebrochen wird das dann wieder von „Vultures“, dem Album-Gast Mastodon-Bassist Troy Sanders eine düstere, groovige Schwere verleiht.

Selbstzerstörung als letzter Akt

Den Abschluss bildet „Outsider“, ein langsames, schleppendes Monster. Im Vergleich zum Rest der Platte wirkt der Track fast müde, ausgelaugt. Mit Autotune-verzerrter Stimme klagt Chamberlain: „I made myself public, I’m a masterpiece / Sell my soul for free.“

Musikalisch mag das Stück sich nie richtig entfalten. Aber die Aussage trifft ins Ziel: Es ist eine Reflexion über Selbstzerstörung, über die Mechanismen des Musikgeschäfts, über das Gefühl, immer weiterzumachen, weil es von einem erwartet wird – aber nicht mehr zu wissen, ob man es wirklich noch fühlt. Und genau das spiegelt die Natur der Platte und die DNA von Underoath perfekt wider.

Foto: Jimmy Fontaine / Offizielles Pressebild

ALBUM
The Place After This One
Künstler: Underoath

Erscheinungsdatum: 28.03.2025
Genre: ,
Label: MNRK Heavy
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Generation No Surrender
  2. Devil
  3. Loss
  4. Suvivors Guilt
  5. All The Love Is Gone
  6. And Then There Was Nothing
  7. Teeth
  8. Shame
  9. Spinning in Place
  10. Vultures (feat. Troy Sanders von Mastodon)
  11. Cannibal
  12. Outsider
Underoath The Place After This One
Underoath The Place After This One
8.5
FAZIT
Underoath haben kein gefälliges Album abgeliefert. „The Place After This One“ ist sperrig, anstrengend, voller Brüche und bewusst gesetzter Reibungspunkte. Es wird (wieder) Fans geben, die sagen: „Das ist nicht mehr mein Underoath!“ Es gibt Stücke, die irritieren, die vor den Kopf stoßen („Teeth“, „All The Love Is Gone“). Aber das ist das Konzept. „The Place After This One“ erschließt sich nicht sofort, bricht mit Erwartungen. Wer sich darauf einlässt, wird ein starkes Album entdecken, dass sich stetig wandelt und niemals stillsteht.