Review
CrossoverPost-HardcoreRap
Kritik: Sperling - "Zweifel"
Ein Sperling ist ein Singvogel, den wohl jeder von uns schon mal gehört hat. Doch die gleichnamige Band könntet ihr ...
VON
Rodney Fuchs
AM 22/01/2021
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Ein Sperling ist ein Singvogel, den wohl jeder von uns schon mal gehört hat. Doch die gleichnamige Band könntet ihr bisher vielleicht noch überhört haben. „Zweifel“ bricht mit dieser Tatsache und ist das erste Album der fünf Hunsrücker, die in den letzten Jahren bereits unter anderem Namen auf sich aufmerksam gemacht haben.
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Dass die Musik von Sperling besonders ist, wird schnell klar. Die Band verzichtet auf eine zweite Gitarre, ist dafür mit einem Cello ausgestattet, das den Sound auf bemerkenswerte und einzigartige Weise ergänzt. Tatsächlich sind die Hunsrücker mit ihrem Sound so besonders, dass direkte Vergleiche schwer fallen.
Genauso scheitert der Versuch, Sperling in ein Genre einzuordnen. Mit Gesang, Rap, Post-Hardcore und Indie-Elementen erschaffen Sperling ein Bild, das so vielseitig ist wie die 43 verschiedenen Arten der Sperlinge.
Sperling wagen Grenzübertritte in der Gerne-Landschaft
Mit atmosphärischem Aufbau beginnt „Eintagsfliege“ ruhig und steigert sich über seine Spielzeit Stück für Stück. Die Musik von Sperling zentriert sich klar um den Gesang von Sänger Jojo, ist dennoch so liebevoll produziert, dass jedes einzelne Instrument voll und ganz im Mix hervorkommt.
Nach einer kurzen Generalpause erreicht „Eintagsfliege“ den ersten Höhepunkt des Albums und offenbart auch mit kleinen Schlagzeugspielereien großes Instrumentalverständnis, das im Kontext von Rap-basierter Musik selten so organisch umgesetzt wird.
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Hin und wieder offenbaren Sperling zudem ihre aggressive Seite, die innerhalb vertrackten Breaks hervorblitzt. „Bleib“ wird dem Post-Hardcore-Image von Sperling gerecht und erinnert stellenweise an Bands wie FJØRT, Van Holzen oder Heisskalt. Rockig, mit jeder Menge Drive und einer guten Hook bleibt dieser Song definitiv eine Weile im Ohr hängen.
Auch „Baumhaus“ folgt dieser Härte und drückt mit den Gitarren und der depressiven Stimmung wahrlich auf die Hörer*innen und eignet sich bestens, um Aggressionen, Frust und Wut abzubauen. Sowohl „Baumhaus“ als auch das Ende von „Relikt“ offenbaren außerdem eine rhythmische Seite, die im Kern an Bands wie Periphery erinnern mag. Dieser Einfluss ist jedoch nur ganz dezent hörbar und offenbart die vielseitige Bandbreite der Truppe.
Dennoch bleiben Sperling die meiste Zeit über in gängigen Strukturen, die zu keinem Zeitpunkt langweilig werden. Stattdessen arbeitet „Zweifel“ viel mit kontrastierenden Momenten und zeigt diese Divergenz auch auf semantischer Ebene. Denn „Stille“ wird seinem Titel nur bedingt gerecht, überzeugt allerdings ebenfalls mit rhythmischen Elementen, die für ordentlich Punch sorgen. Dazu gibt’s eine gesunde Portion Emotionalität, die im Kontext der Musik ein mitreißendes Ambiente überzeugt.
Ohne jede Zweifel ein abwechslungsreiches Album
Entgegen der Streamingkultur der 2010er Jahre stellten Sperling „Toter Winkel“ zum Download zur Verfügung, verzichteten aber auf einen Upload bei Streamingdiensten. Ein Move, der das Punk-Image der Band hervorhebt, darüber hinaus sicher auch eine gewisse Exklusivität wahrt und feststellen lässt, wer wirklich Fan ist und nicht bloß ein weiterer Streamer. Insbesondere der Chorus des Songs geht unter die Haut und zeigt, dass Sperling auch Pop könnten, würden sie sich in diese Richtung entwickeln.
Doch stattdessen arbeiten sie mit Desert-Rock-Gitarren, elegischem Cello und einer kalten Atmosphäre, die „Toter Winkel“ zu einem Track werden lassen, der auch als Trailer für eine Netflix-Produktion fungieren könnte. Ähnliche Vibes erzeugt „Laut“, das mit großartig ausgespielter Dynamik unfassbar mitreißend wirkt, was nicht zuletzt auch an der textlichen Ansprache „Komm wir werden laut“ liegt.
Mit „Mond“ liefern Sperling die volle Depri-Ladung und offenbaren ihre tiefemotionale Seite. Ein Heisskalt-Vergleich passt fast schon ein bisschen zu gut, doch ist mehr Adel statt ein Tadel. Ganz ohne Schlagzeug, nur mit Saiteninstrumenten und dem sanften Gesang gespielt wird „Mond“ zu einem nachdenklichen Stück Musik, das im musikalischen Narrativ ebenso ein Stück Filmmusik sein könnte. Elegisch, melancholisch und schmerzerfüllt reflektieren Sperling ihre Gedanken, so wie der „Mond“ das Licht der Sonne und folgen dem Beat der Gitarre.
So klar strukturiert die Musik von Sperling auch ist, so geschickt verstecken sie auch ungewohnte Taktungen in ihrer Musik. Dass Teile des Titeltracks in einem 7/8-Takt geschrieben ist, fällt im Flow des Tracks fast nicht auf. So sehr wird die Musik vom Gesang und dem teils lamentierenden Cello getragen.
Dass Sperling ihre Atmosphäre in großen Flächen ausspielen können liegt primär an diesem Cello. Dass Cellist Luca Gilles auf dem letzten Album der Münsteraner Post-Rock Band Long Distance Calling gespielt hat, begünstigt diese Tatsache möglicherweise. Gekonnt umspielt das Instrument viele Gitarrenmelodien auf eine Art und Weise, die eine zweite Gitarre niemals erreichen könnte und unifiziert den Sound von Sperling.
Zum Abschluss liefern die Jungs ein „Schlaflied“, das mitsamt akustischer Gitarre und Gesang für einen Lagerfeuermoment sorgt und einen weiteren intimen Einblick in die „Zweifel“ von Sperling offenbaren. Auch dieses Lied zeigt die Vielfältigkeit in der Musik von Sperling auf und unterstreicht ein rundum gelungenes Album, das so facettenreich und einzigartig ist, wie das Gefieder eines jeden Vogels.
Foto: Simon von der Gathen / Offizielles Pressebild
Zweifel
Künstler: Sperling
Erscheinungsdatum: 22.01.2021
Genre: Alternative, Post-Hardcore, Rock
Label: Uncle M
Medium: CD, Vinyl, etc
- Eintagsfliege
- Bleib
- Stille
- Toter Winkel
- Baumhaus
- Fuchur
- Relikt
- Laut
- Mond
- Tanz
- Zweifel
- Schlaflied
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