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Review
AlternativePost-HardcoreRock
Kritik: Sperling - "Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie"
Es kommt nur sehr selten vor, dass ein Debüt-Album so einschlägt, wie es „Zweifel“ der Band Sperling im Jahre 2021 ...
VON
Kevin Postir
AM 18/02/2024
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Es kommt nur sehr selten vor, dass ein Debüt-Album so einschlägt, wie es „Zweifel“ der Band Sperling im Jahre 2021 tat. Heute, mehr als zwei Jahre nach dem Release, kann die Gruppe aus Rheinland-Pfalz auf einen Paukenschlag in der hiesigen Szene zurückblicken und richtet mit „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ den Blick in die Zukunft. Das neue Album erscheint am 23. Februar 2024 und wird mit großer Spannung erwartet. Vorab haben wir schon einmal hinein hören dürfen und wollen unsere frischen Eindrücke mit euch teilen.
Sperling legen mit Album Nr. 2 nach
Dass Sperling durchaus Fans der tieferen und dunkleren Töne sind, sollte sich mit der Zeit herumgesprochen haben. Richtete sich das Vorgängeralbum noch gezielt nach außen und übte Kritik an den Beobachtungen der Umwelt, so beschäftigt sich die neue Platte mit dem Kleinen, dem Persönlichen. So zeigt sich die Band zwar in gewohnter und geliebter Weise emotional, direkt und trotzdem lyrisch versiert, jedoch scheint es so, als würde der Fokus deutlich nach innen gerichtet sein. „100 Tonnen Kummer“ stellt aus rein musikalischer Sicht dabei wohl noch die eher leichtere Kost dar. Trotzdem wirkt der Song massiv emotional und mitreißend.
„November“ hingegen beginnt zwar mit ruhigem Piano, legt dadurch den Fokus auf den beinah gesprochen vorgetragenen Text, zieht im Verlauf des Stücks allerdings dramatisch an. Auffallend ist hier, dass die Musik den Raum, welcher zuvor für die Stimme gedacht war, einnimmt. Es wirkt in der Komposition daher fast so, als würde die Stimme im Sound ertrinken.
Frischer Wind mit hochkarätigen Gästen
Bereits in der ersten Hälfte auf „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ tummeln sich gleich zwei Gastparts. „Meer“ eröffnet das Album und gibt dabei gleich einen bedrückenden Grundton vor. Das entstehende Ohnmachtsgefühl weist ein grundlegendes Thema der Platte auf: Der Suche nach Sinn, nach Bestimmung, nach sich selbst. Hervorgerufen wird dieses Gefühl hauptsächlich durch das immer wiederkehrende Riff der Gitarren, welches schwer aufs eigene Gemüt drückt. Dabei wird die Abgrenzung zwischen Strophen und Refrain nicht so klar, wie man sich das wünschen würde. Gastpart stellt niemand Geringeres als Being As An Ocean-Frontmann Joel Quartuccio dar. Dieser verleiht dem Song eine Rohheit und Wut (teilweise sogar in deutscher Sprache), die gleichzeitig die Vielfalt in das Stück trägt. Bleibt man in der metaphorischen Welt des Meeres, so wirkt dieser Part – zumindest aus musikalischer Sicht – wie ein Leuchtturm. Inhaltlich endet der Song ohne einen Ausweg oder Hilfe zur Selbsthilfe, er beschreibt vielmehr einen Status Quo.
Die bereits vorab veröffentlichte Single „Die kleine Angst“ erhält Unterstützung von Sänger Mario Radetzky (Blackout Problems). Insgesamt wirkt der Song, als hätte er das Potenzial, eine breite Masse anzusprechen. Die Schwere der Strophen wird durch Radetzkys Refrain spürbar aufgelockert und erhält einen Push nach vorn. Selbiger ist darüber hinaus äußerst catchy und setzt sich im Gehörgang fest. Inhaltlich beschäftigt sich der Song mit den Ängsten des Alltags, bei denen es nur schwerfällt, sie loszuwerden. Auch hier wird vielmehr eine alltägliche Situation beschrieben, ohne dass eine inhaltliche Entwicklung oder ein Vorankommen in der Thematik stattfindet. Vielleicht ist dies nicht zwingend notwendig, im Falle von Sperling und mit Blick auf das Debüt-Album, fällt es allerdings auf.
Auch Sperling entwickeln sich weiter
Während die ersten Songs auf „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ stilistisch eher an vergangene Tracks erinnern, gibt es innerhalb des Albums mehrere stilistische Brüche, die zeigen, dass Sperling vorangehen und den eigenen Sound weiterentwickeln. „Wach“ gibt mit seinen elektronischen Einflüssen, die verstärkt in Richtung Deep House gehen, einen ersten Vorgeschmack auf das, was im Laufe des Albums noch kommen sollte. Dabei bietet der Song all das, was es benötigt, um einen Remix daraus zu machen, der die herausragenden elektronischen Elemente noch einmal verstärkt.
Auch „Verlieren“ weist den kreativen Austausch mit diversen Effekten auf Gesang und Instrumenten auf. In diesem Song stehen vornehmlich die Drums im Fokus, da sie verstärkt Akzente setzen und dem Stück damit eine Vielfältigkeit verleihen. Eines der Highlights auf Sperlings neustem Album wird für viele wahrscheinlich „Fallen“ sein. Getrieben von elektronischen Drums zeigt sich die Band von einer beinahe new wave-igen Seite. Mit stetig zunehmender Intensität, welche im letzten Viertel des Stücks ihren Höhepunkt findet, erinnern besonders die Gitarren an Bands, wie The Cure. Eine wunderbare Abwechslung!
Kein Licht am Ende des Tunnels, oder doch?
Nachdem die bereits beschriebenen Stücke nur wenig inhaltliche Hilfe bei all der Schwere bieten, versuchen Sperling sich dann doch in kleinen Experimenten einer Verbesserung des Status Quo. Das funktioniert in „Frost“ eher weniger, da der dramaturgische Spannungsbogen gegensätzlich zur inhaltlichen Euphorie (dieses Wort ist eigentlich schon übertrieben) verläuft. Dadurch wird die Grundmessage des Liedes verwässert. Trotz allem ist das Stück auf handwerklicher Ebene interessant. Besonders die Art von Sänger Jojo die letzten Silben einer Zeile über den Takt hinauszuziehen, bietet eine gelungene Abwechslung.
Der Song „Luft“ versucht sich ebenfalls daran aus der beschriebenen Sinneskrise etwas Positives zu ziehen und schafft das besser als das Vorgänger-Stück. Neben einem rockigen, zugänglichen Sound, der in Nuancen in Richtung von Tomte und Kettcar geht, formuliert die Band den Appell derzeitigen Schmerz mitzunehmen und daran zu wachsen. Nach rund zehn Stücken ohne positives Auskommen, gibt dieses Stück, zum Ende von „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ einen kurzen Moment zum Durchatmen.
Mit „Die Welt Ist Schuld“ schließen Sperling ihr zweites Album. Der Track, der anfänglich sehr zart beginnt, überträgt von Beginn an starke Emotionen. Mit Einsatz des Cellos wird das Stück zwar deutlich imposanter, jedoch hat man das Gefühl, dass die Intensität dadurch ein Stück weit abnimmt. An dieser Stelle hätte die anfängliche Ruhe vielleicht einen stärkeren Impact auf die Zuhörer:innen gehabt.
Foto: Roman Ricken / Offizielles Pressebild
Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie
Künstler: Sperling
Erscheinungsdatum: 23.02.2024
Genre: Alternative, Post-Hardcore, Rock
Label: Uncle M Music
Medium: CD, Vinyl, etc
- Meer (feat. Joel Quartuccio)
- 100 Tonnen Kummer
- November
- Die kleine Angst (feat. Mario Radetzky)
- Wach
- Dünner als Papier
- Verlieren
- Fallen
- Frost
- Luft
- Die Welt ist Schuld
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