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IndustrialRock
Kritik: Rammstein - "Zeit"
Nun hat das Warten ein Ende, Kinder. Rammstein sind wieder back, endlich ist es soweit. „Zeit“, das lange erwartete und ...
VON
Tamara Jungmann
AM 01/05/2022
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Nun hat das Warten ein Ende, Kinder. Rammstein sind wieder back, endlich ist es soweit. „Zeit“, das lange erwartete und heiß begehrte, achte Studioalbum der Berliner NDH-Giganten hat mittlerweile das Licht der Welt erblickt und bereits wieder Band-Jünger*innen rund um die Welt verzaubert und verstört. Wie die neue Platte aber nun wirklich genau klingt, lest und erfahrt ihr Song by Song im Folgenden.
„Zeit“ von Rammstein in der Track-by-Track-Kritik
“Armee der Tristen”
Die Platte startet mit dem Opener-Titel “Armee der Tristen”. Wie bereits erwartet, gehen die Lyrics hier auf das Gedicht “Armee der traurigen Menschen” aus Lindemanns zuletzt erschienenem Poesie-Band “100 Gedichte” zurück. Der Text ruft die Hörenden dazu auf, sich einzureihen, Teil der düsteren Welt Rammsteins zu werden. Damit schafft die Band wieder einmal etwas, was sonst nur wenige Bands können: Sie schaffen ein Gemeinschaftsgefühl, eine Connection zu ihren Fans, ohne mit ihnen wirklich zu interagieren, nur über ein bindendes Element – die Musik.
Apropos Musik. Während der Text von “Armee der Tristen” eines Openers absolut würdig erscheint und Lindemann vor dem inneren Auge bereits in weißem Anzug und Zylinder auf die Bühne gesteppt kommt, wirkt die Musik etwas – schwermütig. Das progressive, elektronische Rauschen passt war zum Konzept “Zeit” und eröffnet Rammstein nochmal eine Art neue musikalische Ebene, trotzdem wirkt der Sound wie bereits da gewesen. Der gothische NDH-Tanz-Metall-Beat der langsam anfängt und auch unverändert so bleibt, kann hier also nicht vollständig überzeugen.
“Zeit”
Und schon geht es weiter mit dem Titeltrack der Platte und der uns bereits allen bekannten Ballade “Zeit”. Zwar haben wir auch hier wieder einen slowen und sanftmütigen Anfang, dieser geht aber über in einen wahnsinnig episch-klingenden und alles einnehmenden Refrain, der zuerst ohne Musik daher kommt und vor allem allein stehend Eindruck schindet. In Kombination dann mit dem Einsatz von Schlagzeug und E-Gitarre brummt “Zeit” sich ins Gehör und Gedächtnis, bäumt sich auf und sorgt für emotionale Gänsehaut-Momente.
Ein endlos starker Track der definitiv die beste und aussagekräftigste Ballade der Platte darstellt, vielleicht sogar den besten Song. Einzig und allein das Ende empfinde ich als etwas kurz geraten, dieses gehackte, maschinenhafte-schrubbende Gitarren-Outro hätte man ruhig noch etwas stehen lassen können. Aber vielleicht wird uns dieser Wunsch ja auf Tour noch erfüllt.
“Schwarz”
Mit “Schwarz” haben wir hier die dritte Ballade in Folge. Nach der anfänglichen Enttäuschung über diese Erkenntnis, wird der Track aber von Hören zu Hören besser und überzeugt durch seine verträumten, nyctophilen Lyrics und die samtenen Klavier-Parts in den Strophen. Und auch wenn der Song zunächst keinen typischen Rammstein-Banger darstellt, kann “Schwarz” doch mit seinen Vorgänger-Schmachtern mithalten.
Die Lyrics beruhen übrigens erneut auf einem Gedicht von Lindemann. Dieses Mal aber bereits einem seiner früheren Werke. Das Poem “Schwarz” erschien bereits in “In Stillen Nächten” und ist fast komplett übernommen worden. Die Zeile “Immer wenn ich einsam bin, zieht es mich zum Dunkeln hin” wurde übrigens bereits von Rammstein so ähnlich in “Hilf Mir” verwendet.
Es wird endlich auf die Tube gedrückt
“Giftig”
Der vierte Track der Platte “Giftig” zaubert den ersehnten Übergang von balladeskem, düsterem Trist zur Rammstein-Headbangerei. Während es im Text nun auch weniger melancholisch zugeht, sondern stattdessen eher eine lyrische Dynamik aufgebaut wird, lässt nun auch die Musik endlich etwas mehr aufbrausenden Beat zu. “Giftig” stellt eine musik-gewordene Beschreibung einer toxischen Beziehung dar. Wie Klapperschlangen klingen die taktvoll zischenden Synthies, bedrohlich die wummernden Gitarren. Der Refrain besticht mit einem Vocal-Synthie-Ruf-Antwort-Spiel und ja, ja Leute. Ich glaube ich habe sogar Autotune rausgehört.
Insgesamt versprüht der Track einen arabisch-angehauchten Vibe, der mich zum Einen sehr an Richard Kruspes Solo-Projekt Emigrate erinnert, zum Anderen durch die Backvocals zu Beginn aber auch an den Track “Zerstören” der 2005er Platte „Rosenrot“.
“Zick Zack”
Nun geht’s erst so richtig los. Mit “Zick Zack” läuten Rammstein ihr musikalisches Comeback ein. Bereits vor einigen Wochen erschien der Track als zweite Single-Auskopplung und Anheizer für das neue Album zusammen mit fulminantem Musik-Video und genialer Promo-Aktion. Das Filmchen dazu findet ihr nochmal hier:
Und tatsächlich bleibt es so, die anfängliche Begeisterung zum Schönheits-OP-Track reißt nicht ab und “Zick Zack” kann mit seinem rhythmischen, dynamischem Beat, einem genialen, melodischem Post-Chorus und dem gerufenen Chor-Intro und -Outro zu einem der besten Tracks der Platte gekürt werden. Rammstein-Vibes pur.
“OK”
Und brachial-vorpreschend geht’s weiter. Mit dem sechsten Song der Platte gibt’s nämlich ein kleines rockiges Überraschungs-Ei ins Nest gelegt. Der zunächst nichtssagende Titel startet mit einem Kirchen-Chor. Jetzt nicht unbedingt was Neues, auch auf der letzten Platte der Band, der Selftitled-LP, gab es mit “Zeig Dich” ein göttliches Intro zu hören. Was es mit “OK” auf sich hat, wird hier theoretisch bereits verraten – hört man genau hin.
Nach dem Chor geht’s dann so richtig los und in typischer Rammstein-Manier werden die Kirchenklänge von verspielten Synthies, dann marschierenden, hereinbrechenden Gitarren und hämmerndem Schlagzeug abgelöst – BAM! Und in dem Moment in dem der Refrain hereinbricht und Till die titelgebende Refrain-Line singt sind die sechs Berliner Boys dann wieder voll da. “OK” ist ein wahnsinnig energetischer und treibender Spaß-Track á la Lindemann – sexuell, provozierend, tilltastisch.
“Meine Tränen”
Gerade als es anfängt, richtig Spaß zu machen kommt der Vierminüter “Meine Tränen” um die Ecke. Erneut eine Ballade – hach.
Die gezupften Gitarren- und Basspuren in den Strophen bewirken zusammen mit den verstörenden Lyrics eine beklemmende Atmosphäre. Der Refrain bricht dann unerwarteterweise in eine gewisse epische Melodie aus und fühlt sich – schunkelbar an.
In “Meine Tränen” geht es um inzestuöse und traumatische Erfahrung eines Sohns mit seiner Mutter – ein bei der Band beliebtes, aber gesellschaftlich nicht gern gesehenes Rammstein-Thema. Die Mutter missbraucht das Kind und predigt diesem dann vor, dass er nicht weinen darf, denn ein Mann weint nur, wenn seine Mutter stirbt – vielleicht eine Kritik an toxischer Männlichkeit?
“Angst”
Vergesst alles, was ich gesagt und geschrieben hab – “Angst” ist der beste Track der Platte.
Der hämmernde Beat bricht aus dem Nichts herein, die Gitarren scheppern über die Strophen und es wird so eine krasse, heftige Psychothriller-”Schweigen der Lämmer”-Atmosphäre erzeugt (ähnlich zu “Puppe”) die beängstigender und beengender nicht sein könnte. Wirklich. Ich bin überzeugt davon, dass ich nie wieder schlafen kann – vor allem nachdem ich auch noch dieses Musikvideo gesehen habe.
Cheers, Till. Echtes (Alb)Traum-Material.
Aber auch hier muss ich zugeben, dass man einige Momente braucht, um den Zugang zum Track zu finden. Während die rhythmische, treibende Joker-Theme-Musik vom ersten Augenblick einschlägt, muss man Lyrics und Musikvideo erst verbinden, um zu sehen, um was es hier eigentlich geht: Mit “Angst” schaffen Rammstein eine neue moderne Anti-Rassismus-Hymne, die unsere kaputte, alte, weiße und (Fake News-)Medien-manipulierte Gesellschaft auseinandernimmt.
Während ich zunächst mit der Thematik zu kämpfen habe, erschließt sich mir erst beim zweiten Hören und Sehen die Message. “Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?” soll hier keine Ängste vor Dunkelheit oder einer fiktiven Sandmann-Figur, ähnlich zum Wesen in “Mein Herz Brennt”, darstellen, sondern die manipulierende Online-Hetze und rassistische Berichterstattung gegenüber Ausländer*innen thematisieren. Der heftige Text von “Angst” plus die drastischen Bilder des Psycho-Musik-Videos schocken und provozieren mal wieder in bester Rammstein-Art die Massen – und halten ihnen den Spiegel vor.
Rammstein wie eh und je
“Dicke Titten”
Dass Rammstein auch Schlager können, bewiesen sie ja bereits auf der letzten Platte mit ihrem Track “Sex”. Was dort bereits vor sich hin zu gären begann, erreicht mit “Dicke Titten” seinen Höhepunkt: Lesende, Ballermann-Hater und beinharte Feministinnen. Ihr müsst hier jetzt ganz, ganz stark sein.
Der Track beginnt bereits mit einem Posaunen-Fanfarenzug à la Fasenacht: Man sieht sie. Die Jecken und Jeckinnen im Bierzelt sitzen und eingeschlungen die Körper schunkeln, die 17-Jahre-jungen Bierkönig-Besucher*innen ihre T-Shirts im Takt über den Kopf wedeln.
Tatsächlich ist die wiederkehrende Melodie, die anfangs gespielt wird das, Achtung… DDR-Partei Lied. Bis auf kleine Abwandlungen verwandeln hier Rammstein also den „guten alten“ SED-Marsch in ein schepperndes, rockiges Schlager-Brett.
Mickie Krause is back? Nicht mal ein wenig. Denn auch wenn “Dicke Titten, Kart…“ , sorry nur das Erste, direkt mal zum Mitschunkeln einlädt und gerade der Pre-Chorus eine unschlagbare, zum Mitschmettern und Klatschen einladende, Line darstellt, würde ich doch behaupten, dass “Dick…”, dieser Track halt, eine Kritik am alten, weißen, geilen Mann darstellt der wie in der ersten Strophe besungen, selbst langsam zugrunde geht und sich nur deshalb eine junge Frau angeln möchte. IQ und andere Attribute spielen dabei eher keine Rolle. Eigentlich geht es dem besungenen Charakter nur um eins: Na ihr wisst schon.
Spaß macht der Track aber definitiv eine ganze Menge und ich bin mir jetzt schon sicher, dass wir keinen Festivalsommer mehr feiern dürfen ohne … “D.. T…” über die Campingplätze zu schallern!
“Lügen”
Langsam aber sicher geht’s nun auf die Zielgeraden eines neuen Musik-gewordenen Monumentes in der Rammstein-Diskografie. Mit “Lügen” gibt es eine neue Ballade, fast schon einen Pop-Song auf die Ohren. Verträumt und malerisch assoziiert man zu Beginn sofort eine Sternenhimmel-Atmosphäre die Till dann ebenso in blumigen Metaphern und Bildern besingt. Rammstein schaffen hier etwas nie zuvor dagewesenes in ihrer musikalischen Laufbahn, das (mich) fast schon an eine emotionale Reise zu Prinz Pis “1,40m” erinnert.
“Lügen” erzählt die scheinheilige, heile Welt die man sich zu Beginn einer Beziehung (zu einer anderen Person, aber auch zu sich selbst) erträumt und aufrechterhält – bis das schön drappierte Kartenhaus zusammenfällt. Der recht spät einsetzende Refrain rechnet damit dann ab:
“Lügen, Alles Lügen, Ich lüge, Und betrüge, Ich belüge sogar mich.”
Der thematische Umschwung ändert allerdings weniger an der Emo-Pop-Musik. Wir erleben hier zwar ein kontrastierendes Rammstein-Moment, aber ohne typisch brachial-rockige Zuspitzung oder Wendung.
“Adieu”
Last But Not Least. Der bereits im vornherein umstrittenste Track der Platte der die Gerüchte um ein mögliches Ende der deutschen Kultband brodeln ließ: “Adieu”.
Und ja. Auch wir müssen an dieser Stelle zu geben: Das klingt lyrisch schon hart nach Abschied. Und auch anders als Tracks wie “Vergiss Uns Nicht” die ähnliche Diskussionen losgelöst haben, klingt es. als würden Rammstein hier ihre eigene Position einnehmen und sich vom Fan verabschieden….I’m Not Crying… you’re crying!
Hört man allerdings ein zweites und drittes Mal hin, beschäftigt sich dieser Track auch intensiv mit der Thematik Tod und dem Weitermachen danach. Eindeutig ist hier also mal wieder nichts.
Nicht nur textlich ist der Track ein genialer Closer, der sicherlich auch auf der anstehenden Tour die Fans verabschieden wird. Auch musikalisch wird hier eine Klammer zum Beginn des Albums gesetzt. “Adieu” knüpft zu Beginn in Tempo und Rhythmik an den alten, gewohnten Rammstein-Sound an und brilliert mit schrillenden und stampfenden Gitarren-Sounds, wiederkehrendem Synthesizer-Motiv und melodiösem, zum Armeschwingen-anregendem Refrain.
Foto: Bryan Adams / Offizielles Pressebild
Zeit
Künstler: Rammstein
Erscheinungsdatum: 29.04.2022
Genre: Industrial, Rock
Label: Rammstein (Universal Music)
Medium: CD, Vinyl, etc
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