Review

Power Metal

Kritik: Powerwolf – "Wake Up The Wicked"

Gar keine Frage – schon seit Jahren kommt man kaum noch eine Festivalsaison ohne sie aus. Sie jetten mit ihren ...

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Gar keine Frage – schon seit Jahren kommt man kaum noch eine Festivalsaison ohne sie aus. Sie jetten mit ihren Wolfsnächsten um die Welt und sind bekannt wie bunte (Werwolf-)Hunde. Powerwolf gehören seit einiger Zeit zur Speerspitze des globalen Heavy Metal-Geschehens und bis jetzt ist keineswegs eine Abkehr von diesem Aufwärtstrend abzusehen. Auch mit „Wake Up The Wicked“ nicht.

Das vorab releaste Musikvideo zur Single „1589“ strotzte bereits vor Selbstbewusstsein: Ein brennendes Klavier, Scharen an verängstigten Dorfbewohner-Schauspielern und eine computergenerierte Werwolf-Verwandlung – größer hätte die Band nicht in ihren neuen Albenzyklus einsteigen können. Tatsächlich ist der Miniclip auch die bisher teuerste und aufwendigste Produktion der Band. Sieht man. Hören tut man tatsächlich auch das, was man sieht und vor allem was man kennt.

Aber der Reihe nach…

Powerwolf machen kurzen Prozess

Mit dem ersten Hördurchlauf fällt uns auf wie unheimlich knackig das neunte Studioalbum der Saarländer ausgefallen ist: 37 Minuten und das bei dennoch elf starken Songs, ohne Instrumentals. Das zuvor angesprochene „1589“, in welchem von einem prominenten Werwolf-Prozess in Deutschland berichtet wird, ist mit knapp über vier Minuten der längste Song der Platte – heftig. Aber auch beeindruckend wenn man beobachtet, wie Powerwolf ihre sowieso schon kurzen und pointierten Tracks noch einmal mehr auf das Wesentliche reduzieren.

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Das Beste Beispiel hierfür ist der angezogene Album-Opener „Bless‘ em with the blade“, der direkt ohne Intro knallhart einsteigt und keine Zeit zum Atmen lässt. Dieser prescht in Rekordzeit vorbei, sorgt aber auch dafür, dass man keinen wirklich leichten Einstieg in das Album erhält, sondern sich eher wie am Bahnhof fühlt wenn der ICE an einem vorbei rast, die Haare noch im Wind wehen und man sich fragt: „Was war das denn?“.

Neue Reiseziele

Ein Gegenspieler hierzu ist „Sinners Of the Seven Seas“, obwohl er nur drei Sekunden länger als sein Vorgänger ist. Ein Glockenspiel zu Beginn, episch-chorale Hintergrundgesänge und ein stark gedrosseltes Tempo lassen hier etwas mehr Raum für Atmosphäre zu und die Nase Seeluft schnuppern. Dazu kommt der hymnische Refrain und ein leicht schlageresker Zwischenteil, der vor dem inneren Auge bereits den hüpfenden Attila Dorn auf einer Festival-Bühne erscheinen lässt – eine der stärksten Nummern des Albums.

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Gleichberechtigte Höhepunkte

Alle weiblichen Werwölfe dürfen begeistert ein simultanes „Halleluja“ gen Himmel rufen: Mit „Kyrie Klitorium“ folgt endlich die Antwort auf „Resurrection by Erection“, die beweist: Powerwolf verstehen nicht nur Spaß und lassen bei all dem Erfolg, den sie aktuell haben, weiterhin den Party-Erotik-Humor hochleben, sondern sie denken gleichzeitig auch an ihre penislose Anhängerschaft. Sicherlich kein hochintelligenter oder tiefgründiger Track, aber ein Song, der wie gemacht ist zum angetrunkenen Mitschreien – und darum geht es bei PW nun mal auch.

„Biblia Vulgata“ erweckt zunächst den Eindruck, in dieselbe Kerbe zu schlagen – ist aber nach dem ersten Googlen thematisch schnell erklärt. Musikalisch kann er nicht unbedingt mit den anderen Songs mithalten und verschwindet im Gesamtkontext wieder aus dem kognitiven Gedächtnis. Ebenso der Titeltrack „Wake Up The Wicked“ und „Thunderpriest“. Beide Songs versprühen zwar den typischen von Blastbeats und singenden Lead-Gitarren geprägten Powerwolf-Sound und entpuppen sich bei mehrmaligem Hinhören als Ohrwürmer – aber auch einfach weil es bei der Eingängigkeit der Refrains und Riffs gar nicht anders möglich wäre, als spätestens nach dem dritten Hördurchlauf – Quatsch – nach dem dritten „Viva Vulgata!“-Ausruf automatisch die Faust gen Himmel zu strecken und mitzuheulen.

Frische Hymnen

Mit „Heretic Hunters“ und „We Don’t Wanna Be No Saints” wird es wieder spannend, denn hier präsentieren sich Powerwolf auf einmal „neu“ – oder zumindest etwas überraschender.

Bei „Heretic Hunters“, das zunächst klingt wie die Middleage-Version von „Incense & Iron“ setzen die Saarländer verstärkt auf mittelalterliche Vibes und Folk-Elemente, was sie bereits mit ihren letzten Alben „The Sacrament Of Sin“ (2018) und „Call Of The Wild“ (2021) vorausgesagt haben. Auch „We Don’t Wanna Be No Saints“ will mit seinem Kinderchor zu Beginn und Ende herausstechen – und schafft das hervorragend. Insgesamt wirkt diese Nummer detailorientierter, größer und pompöser. Vielleicht die stärkste Nummer des Albums und sicherlich eine neue Bandhymne, die es sich neben „We Drink Your Blood“ und „Demons Are A Girls Best Friend“ auf den kommenden Setlists gemütlich machen wird.

Übrigens dürfen wir uns am Releasetag zuäsätzlich zum Album, noch über das Musikvideo zu „We Don’t Wanna Be No Saints“ freuen:

Deja Vu-ff?

Ein Song überrascht ebenfalls – denn im ersten Moment möchte man kurz stoppen und nochmal nachschauen, ob man sich nicht beim Albumtitel vertan hat: Ein unglaublich catchy Intro, das direkt zum Kopfnicken einlädt. Leider hatte die Band diese wahnsinnig gute Idee bereits vor drei Jahren. „Joan of Arc“, Powerwolfs Ehrung für die französische Heilige und Kriegerin, klingt im Intro ganz genau wie „Sainted By The Storm“ von „Interludium“. Wieder ist es unbestreitbar ein guter Sound, dennoch schade, dass an dieser Stelle wohl der kreative Funke gefehlt hat und auf bewehrte Mittel zurückgegriffen wurde.

Der Ausgang des Albums ist mit „Vargamor“ balladisch und altertümlich, was wiederum zum Thema des Songs passt: Mit einem Vargamor ist eine Hexe, ein Magier oder ein Wesen mit übernatürlichen Kräften gemeint, welche/r/s an der Seite von (Wer-)Wölfen lebt. Demnach kann man den Song vielleicht als Liebesbekundung an Familie, Freunde oder Fans des fünfköpfigen Rudels verstehen. Ausnahmsweise klingt Sänger Attila Dorn hier stellenweise ungewohnt weich und ruhig. Auch das ist eine angenehme Abwechslung, von der wir künftig aber hoffen, dass sie die wohl dosierte Ausnahme bleibt.

Foto: VDPICTURES / Offizielles Pressebild

ALBUM
Wake Up The Wicked
Künstler: Powerwolf

Erscheinungsdatum: 26.07.2024
Genre: ,
Label: Napalm Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. Bless 'Em With The Blade
  2. Sinners Of The Seven Seas
  3. Kyrie Klitorem
  4. Heretic Hunters
  5. 1589
  6. Viva Vulgata
  7. Wake Up The Wicked
  8. Joan Of Arc
  9. Thunderpriest
  10. We Don't Wanne Be No Saints
  11. Vargamor
Powerwolf Wake Up The Wicked
Powerwolf Wake Up The Wicked
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FAZIT
Aus alt macht neu! Allen Erwartungen nach überraschen die Werwölfe aus dem Saarland mit „Wake Up the Wicked“ nicht, sie bringen aber auch kein böses Blut seitens ihrer Fanschaft in Wallung. Ganz im Gegenteil: Jeder Song des neunten Powerwolf-Studioalbums präsentiert einen typischen Banger: eingängig, episch, hymnisch! Wunderbar zum Mitsingen, Mitgrölen oder Mitschmachten geeignet und natürlich wie geschmiedet für den Auftritt im Rampenlicht. Dennoch wollen wir bei unserem haarigen Herz für Wölfe nicht unterschlagen, dass es für Powerwolf musikalisch weder nach links noch nach rechts geht. Das eigene Revier wird verteidigt, so wie es sich für Fellnasen nun mal gehört. Die eins in den Charts werden sie vermutlich so oder so erreichen und das hat sich die Corpse Paint-Band mit der Orgelmusik im Hinblick auf ihren unaufhaltsamen Karriereweg Richtung Metal-Olymp auch redlich verdient.