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AlternativeNu Metal

Kritik: Linkin Park - "From Zero"

71 Sekunden. 71 Sekunden, in denen die Welt wie gebannt auf genau diese Bühne schaut, auf der Mike Shinoda mit ...

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71 Sekunden. 71 Sekunden, in denen die Welt wie gebannt auf genau diese Bühne schaut, auf der Mike Shinoda mit seiner Band gerade die erste Strophe von „The Emptiness Machine“ anstimmt. Einer Single, die zu den wichtigsten ihrer Zeit werden sollte; einer, mit der alles gut oder eben alles zu einer Comeback-Farce hätte verkümmern können. T minus 30 Sekunden: Sie nimmt den Weg in Richtung Bühne, vorbei an den mannshohen Absperrgittern, vorbei an der Security, die nur auf Shinoda zu achten scheint. Geradewegs durch den Nebel in Richtung der Bühnenbretter. Vorbei an all den Zweifeln, all den Ängsten, die drei letzten Stufen hoch in Richtung des Blitzlichtgewitters, das fast schon hätte ausleuchten können, dass Linkin Park diesen Schritt mit lediglich Shinoda am Gesang gehen würden. Ab Sekunde 72 wird es schlagartig ruhiger in den Rängen. Erst als Shinoda dann in Sekunde 98 auf Emily Armstrong zeigt, wird schlussendlich jedem klar: Hier wird wohl gerade tatsächlich Geschichte geschrieben.

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EINE DER MEISTGESTREAMTEN SINGLES ALLER ZEITEN

Kommerziell haben Linkin Park das Ding jetzt ohnehin schon nach Hause gefahren. Und auch in Anbetracht aller aufgekommenen Diskussionen über Armstrongs Vergangenheit, die eben nicht Teil dieser Zeilen werden soll, sollte mittlerweile fast jedem klar geworden sein, dass Linkin Park rein musikalisch keinen viel besseren Weg hätten einschlagen können. Armstrong füllt zumindest stimmlich geradezu den Raum, den Bennington 2017 jäh und plötzlich hinterließ. Und das tut sie seit eingangs erwähnter Szenerie würdig und in jedweder Hinsicht überzeugend. Fast schon zu überzeugend, und zwar mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit, welche die Stimmen der noch vorhandenen Zweifler immer unbedeutender werden lässt. Thematisch lässt der Song Raum für reichlich Spekulation wie Interpretation und wird lyrisch im weiteren Verlauf nie zu konkret.  Wahrscheinlich scheint sich Armstrong hier jedoch im Groben vornehmlich mit den Praktiken von Sci und den damit verbundenen Auswirkungen zu befassen.

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Und auch „Heavy Is The Crown“ fällt nicht weniger überzeugend aus und besitzt das Format, die Welt im Sturm einzunehmen. Bezeichnend ist zweifelsfrei die freigesetzte Energie, die Linkin Park seit „Meteora“ irgendwie abgegangen zu sein schien. Das klingt ohne den geringsten Zweifel so, als habe man sich erst mit diesem letzten persönlichen Puzzleteil dazu entschließen können, die Handbremse vollends zu lösen.

„Over Each Other“ ist dann eine pompös anmutende Stimmungsballade, die sich mit einem Beim fast schon knietief im Industrial-Rock verfangen hat. Im Mittelpunkt findet sich ganz Armstrongs Stimme, die auch hier ihr volles Spektrum zu entfalten weiß. Auf den großen Ausbruch wartet man im Laufe des Songs indes vergebens. An Dramaturgie ist sie nichtsdestoweniger kaum zu überbieten und ihr Drang zur großen Melodie eint sie mit den ersten beiden Lebenszeichen Linkin Parks.

SHINODA & CO. AUF GEWAGTEM TERRAIN

„Casualty“ ist dann ein Rhythmus-Monolith sondergleichen. Fast schon Helmet-alike wuchten sich Linkin Park stakkatoartig und aufs Präziseste pointiert durch eine Strophe, in der die Bassline auf Bassdrum und Snare nur so zu tänzeln scheint. Ein erschlagend herrliches 90s Alternative-Rock-Gefühl steigt im Stadion auf, wenn Shinoda und Armstrong im Laufe des Songs sprichwörtlich um die Wette batteln. Das wirkt so wendig, so unsäglich lebendig und authentisch, dass man an dieser passionierten Darbietung in Sachen Glaubwürdigkeit eigentlich kaum zweifeln kann. Und jetzt kommt’s: Mit „Casualty“ schrammen Linkin Park sogar kurzfristig das Genre Hardcore. Da kommt Colin Brittains Puls mal so richtig in Fahrt wenn er Armstrong nach der Bridge im Uptempo zünftig in Richtung der Zielgeraden drischt. Puh. Das liegt dann doch tatsächlich sogar noch jenseits gerechtfertigter Erwartungshaltungen.

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Man denke bloß nicht, „From Zero“ werde abseits seiner ohnehin schon überzeugenden Singles großartig schwächer. Klar, ein „Cut The Bridge“ wirkt im direkten Vergleich zum vorhergehenden „The Emptiness Machine“ im Gesamtkontext ein wenig verloren und chancenlos. Die fahle Gesichtsfarbe schwindet auch im weiteren Verlauf des Songs nicht. Irgendwie kommt da im Refrain nicht so recht Druck in den Tiefen auf, auf dem Album macht jedoch auf Langstrecke auch ein solcher Song unbestreitbar Sinn, sei es auch nur, um den Rücken der übrigen Kompositionen im Nachhall zu stärken.

LINKIN PARK VERMÖGEN DAS HOHE NIVEAU ZU HALTEN

Mit „Overflow“ setzen Linkin Park auf von Keys untermalte, sphärische Klangflächen, die einen denkbar stimmigen Gegenpol zum überwiegend bekannten ersten Teil darstellen und zum bis dato Unbekannten überleiten. Mit „Two Faced“ baden die Kalifornier dann komplett in „Hybrid Theory“ und stellen siegessicher unter Beweis, dass Nu Metal auch dieser Tage alles andere als angestaubt klingen muss. Fred Durst und Wes Borland hätten anno 2000 bei einem Song wie diesem sprachlos und neidvoll von der Nebenbühne geschaut und sich bei gereckten Hälsen und sperrangelweit geöffneten Mündern gewünscht, es handele sich um einen Song von ihnen. Die Teller drehen, das Vinyl raucht, es scratcht und rumpelt unsäglich effektvoll im Hintergrund. Und Linkin Parks Neuzugang Armstrong  brüllt sich dazu geradezu die Seele aus dem Leib.

Und auch eine Halbballade wie „Stained“ ist unsäglich stark und besitzt zweifellos Single-Charakter, auch wenn Shinodas Truppe das Bombast-Pedal hier scheinbar ganz bewusst nur zur Hälfte durchtritt. „IGYEIH“ klingt dann wie eine rein lyrisch weniger kryptisch wirkende Fortsetzung von „The Emptiness Machine“ und eine erneute Abrechnung Armstrongs mit ihrer heute mehr denn je umstrittenen Vergangenheit, bevor die US-Amerikaner den Sack mit „Good Things Go“ schlussendlich balladesk, rigoros pompös und gänzlich episch zumachen.

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Einzig tatsächlich gerechtfertigter Kritikpunkt an „From Zero“ ist, dass man Colin Brittain am Schlagzeug produktionstechnisch weitaus mehr Raum hätte geben müssen. Eben dieses wirkt im Gesamtsound irgendwie fad und drucklos, fällt an mancher Stelle sogar vollends aus dem Gesamtkontext. Hier wünscht man sich tatsächlich nicht selten mehr Druck aus der Rhythmussektion. Das schiebt schlicht zu wenig und lässt – zumindest in Teilen – akustisches Potenzial ungenutzt liegen.

Foto: James Minchin III / Offizielles Pressebild

ALBUM
From Zero
Künstler: Linkin Park

Erscheinungsdatum: 15.11.2024
Genre: , ,
Label: Warner Bros. Records
Medium: CD, Vinyl, etc

Tracklist:
  1. From Zero (Intro)
  2. The Emptiness Machine
  3. Cut The Bridge
  4. Heavy Is the Crown
  5. Over Each Other
  6. Casualty
  7. Overflow
  8. Two Faced
  9. Stained
  10. IGYEIH
  11. Good Things Go
Linkin Park From Zero
Linkin Park From Zero
8.5
FAZIT
„From Zero“, so Shinoda zum symbolischen Verweis, eint Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Linkin Park. Das ist nicht lediglich in Hinsicht auf seine ureigentliche sachliche Bedeutung recht mächtig, sondern gleichsam auch unter musikalischen Aspekten. Linkin Park vermögen die musikalische Identität ihrer besten Tage mit einer neuen Form des Daseins stimmig zu verschmelzen. Wohin auch immer es die Band an der Seite von Emily Armstrong führen wird, so steht doch unbestreitbar fest: Dieses Comeback eines der Flaggschiffe des Nu Metal, das kann man rein musikalisch trotz aller vorhandenen Nebenschauplätze eigentlich nur als beeindruckend empfinden. Und Armstrong, die bekommt in Sachen Drum-Diving schlussendlich die Aufmerksamkeit, die ihr damit auch gebührt.

Punktum, eines fehlt auf „From Zero“ gänzlich: gravierende Schwächen. Hier wird ohne Zweifel nichts zu Grabe getragen, hier wird vor aller Welt Auferstehung gefeiert.

Am Anfang von allem stand einer der genialsten Schachzüge der neuzeitlichen Musikgeschichte: Jemanden zu ersetzen, ohne ihn zu ersetzen. Mensch, Mike. Damit gebührt dir nichts als Respekt.