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Kritik: Avatar - “Dance Devil Dance”
Modern Metal, Groove, Industrial oder doch melodischer Göteborg Death? Alles egal, einzig allein ist wichtig: Der große Metalzirkus ist zurück! ...
VON
Tamara Jungmann
AM 18/02/2023
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Modern Metal, Groove, Industrial oder doch melodischer Göteborg Death? Alles egal, einzig allein ist wichtig: Der große Metalzirkus ist zurück! Die schwedische Fünfer-Kombo Avatar lädt zum höllischen Tanz auf der Klinge. Mit ihrem brandneuen Longplayer Dance Devil Dance liefern die Skandinavier eine abwechslungsreiche und experimentierfreudige Dance-Platte, mit der sie den Heavy Metal retten (wollen). Wir haben für euch das gute Stück Track-By-Track auseinandergenommen und bei Frontfreak Johannes Eckerström genauer nachgehakt.
Avatar will save Heavy Metal.
Bereits im August letzten Jahres erregte Vocalist und Frontmann der schwedischen Melodic Deather Avatar, Johannes Eckerström, mit dieser gewagten Aussage die Gemüter der Szene. Aber warum und seit wann steckt unser Lieblingsgenre denn in so einer prekären Lage?
“Ich höre gerne mal bei Spotify in diese Listen mit neuen Metal-Songs hinein. Und da fällt mir in letzter Zeit auf, dass es gar keine Musik mehr ist, zu der man sich bewegen kann. […] Zu viele Produktionen haben einen viel zu klinischen Sound. Die nehmen das Schlagzeug auf und packen Samples drauf, sodass man das Original-Schlagzeug gar nicht mehr hört. Alles wird in der Produktion komplett fein geschliffen. Und im Songwriting ist es dasselbe. Viele Bands im Metal tun so, als ob sie lieber Popmusik machen wollen. Das ist der Hintergrund dieser Aussage.” – Johannes Eckerström
Wie Avatar vorhaben, den Heavy Metal aus seinem Loch der Lustlosigkeit zu befreien und ihm wieder etwas Dämonisches einzuflößen erfahren wir im besten musikalischen Sinne auf „Dance Devil Dance“ – teuflisch, experimentell und tanzwütig.
Avatar laden zum Teufelstanz
Die Platte des schwedischen Quintetts eröffnet mit einem Glockenschlag und gibt mit einem kleinen “fetzenden” Übergang an den typisch, rhythmisch-stampfenden Grusel-Zirkus-Sound Avatars ab. Der titelgebende Opener “Dance Devil Dance” präsentiert uns auch direkt das satanistische Thema des Albums: Den Tanz mit dem Teufel, den Kampf mit den eigenen Dämonen und den drohenden Zerfall der modernen Welt. Dabei versprechen die Zeilen, dem/derjenigen Erlösung der/die auf die dunkle Seite wechselt.
An den anarchischen Armageddon-Vibe schließt eine futuristische Sci-Fi-Welt an, in der die Affen zurückschlagen. “Chimp Mosh Pit” zeichnet lyrisch ein verrücktes Bild von außerirdischen Schimpansen außer Rand und Band, aber auch musikalisch spürt man durch den hüpfenden Beat und das stramme Tempo des Tracks passenderweise sofort den Drang, im Dschungel-Pit vor der Bühne ab zu tauchen. Mit diesem Track wird außerdem der Bogen zum Vorgänger-Album Hunter Gatherer gespannt, auf dem der Primaten-Mosh bereits vom “Silence In The Age Of Apes” vorhergesagt wurde.
Von den tiefsten schwedischen Wäldern bis zur stürmischen See
Das bereits im September letzten Jahres veröffentlichte “Valley Of Disease” schließt thematisch und musikalisch mehr an die siebte LP „Avatar Country“ an: Das heilige Land wird krank zurückgelassen und es geht unter der Führung eines gottesgleichen aber sündhaften Erlösers weiter in eine unbekannte postapokalyptische Zukunft. Dabei stehen die harten gutturalen Strophen im Kontrast zum ruhigen, gesungenen, melodie-getragenen Refrain.
Dass sich der Natur-Einfluss der schwedischen Einöde langsam bemerkbar macht, spüren wir nach dem Tal der Traurigkeit nun auch am Strand. Ein sonniger Klang, Möwenschreie, ein prägnanter Bass und High-Hat führen uns zu “On The Beach”. Ein Track, der zur Abwechslung mal ein recht positives Bild einer postapokalyptischen Welt zeichnet (“The best is yet to come!”). Vor allem der Refrain, der exotische Reggae-Vibes versprüht, bleibt im Gedächtnis. Es zeichnet sich langsam ab, dass DDD weniger eine Konzeptplatte ist, als ein Album, auf dem jedes Stück für sich steht.
“Wir fanden, dass es jetzt zu einfach gewesen wäre, ein weiteres klassisches Konzeptalbum zu machen. Und gerade das wollten wir nicht. Wir wollten nicht, dass es einfach für uns wird, sondern brauchten eine Herausforderung. Und so gibt es jetzt aber schon eine Art Konzept, nämlich, dass jeder Song ein bestimmtes Gefühl ausdrückt. “ – Johannes Eckerström
“Wir sind kein Zirkusmetal, aber wir sind ein Metal-Zirkus!”
Wer dachte, mit Reggae wäre hier die Spitze der Experimentierfreude erreicht, der irrt allerdings. “Do You Feel In Control?” versprüht Folk- und Piraten-Vibes und überzeugt mit dem Frage-Antwort-Spiel zwischen Eckerströms Vocals und zustimmenden Gangshouts, sowie den kreischenden Gitarren und schnellen Drumspuren.
Affen, Piraten, was wollt ihr noch? Avatar sind da eher für was anderes bekannt und genau deshalb kommen wir jetzt zum Ohren-schmausigen Höhepunkt dieser Freakshow: “Gotta Wanna Riot” ist mehr als wild. Von der verrückten (vielleicht etwas sinnfreien?) Geschichte, die in Kannibalismus gipfelt, bis hin zum rollenden R und dem Mix aus Clean-Vocals, Screams und Sprechgesang. Und was hat der „Drei-Tage-Bart“ der Ärzte hier eigentlich verloren?
“Das hat an der Stelle irgendwie total gut reingepasst. Wir machen keinen Zirkusmetal, aber wir sind ein Metal-Zirkus. Und dazu gehört es eben auch, immer wieder überraschende Elemente hineinzubringen. Und da ist dieses sehr klassische Gitarrenriff, das wir schon sehr früh im Songwritingprozess hatten. Und dann sind wir auf die Idee gekommen, dass das Riff nicht für sich alleine stehen soll.” – Johannes Eckerström
Lyrischer Tiefgang
Bereits seit Dezember zu hören ist der ungewohnt poppige Dance-Track “The Dirt I’m Buried In”, der zur Mitte des Albums für eine kleine melodische Verschnaufpause sorgt. Und auch wenn der Song die bisherige Dynamik herausnimmt und ohne jegliche Härte auskommt, würde ich ihn aufgrund seiner gelungenen lyrischen Tiefe, dem Spiel aus Metaphern und Emotionalität, einem schwungvollen Gitarrensolo und dem ultimativen Ohrwurm-Sound zum besten Song der Platte krönen.
Und wo wir gerade bei lyrischer Tiefe sind. In der zweiten Hälfte dieses Albums hat sich neben Natur-Ästhetik, Memento-Mori-Thematik und satanistischer Wortmalerei noch der von ganz tief unten dröhnende “Clouds Dipped in Chrome” eingebrannt. So wie Avatars Wortgemälde die Zuhörenden teilweise ahnungslos und rätselnd zurücklassen, könnte man meinen, an dieser Stelle Kriegsthematiken herauszulesen. Aber eigentlich sind die Lyrics hier ganz anders gemeint:
“Es geht in dem Text tatsächlich um jemanden, zu dem ich ein sehr schlechtes Verhältnis, schon so eine Art Feindschaft habe. Das ist deshalb auch ein sehr harter Text geworden. Aber das liebe ich so an den Lyrics. Für dich oder jemand anders bedeutet der Text etwas ganz anderes oder du interpretierst ihn anders.” – Johannes Eckerström
Das flotte und nach vorne gehende “Hazmat Suit” mit den treibenden Drums, ruft dazu auf, eine kleine atomare Katastrophen-Party im Chemikalien-Schutzanzug zu feiern. Darauf folgt das stark herausstechende “Train”: Eine kleine höllische Geschichte im Avantgarde-/ Poetry-Style mit Country-Vibes, das an das aktuelle Iggy Pop-Album erinnert und mit Eckerströms stimmlicher Variation schon fast Cash-Vibes aufweist. Zwei konträre Songs, die für sich stehen und, in ihrem Gewand des Party-Tracks und des Musik untermalten Mythos, sehr gut funktionieren.
“„Train“ hat eine ganz besondere Bedeutung für mich, weil ich dort Samples meines Hundes, der letztes Jahr gestorben ist, verwendet habe. Ich habe sein Bellen natürlich sehr stark editiert, aber es ist wirklich wahr. Auf dem Song ist ein Chihuahua zu hören. “ – Johannes Eckerström
Avatar – Ungewohnt politisch
Mit “Violence No Matter What” bekommen wir dann nochmal ein kleines Highlight als gekonnten Rausschmeißer serviert: Hier gibt es nicht viel zu deuten, sondern die volle klare Kante. Zusammen mit Halestorm-Fronterin Lzzy Hale, die Johannes als eine der besten Stimmen der Szene beschreibt, setzen die Göteborger ein Statement gegen Faschismus und widmen es den Aufständen im Iran.
“Man muss dazu sagen, dass wir als Avatar nie eine besonders politische Band waren. Ich würde sagen, wir sind alle überhaupt nicht konservativ. Aber wenn Konservative unsere Musik hören wollen und zu unseren Konzerten gehen wollen, ist das ok für uns. Aber es gibt eine ganz klare Grenze und das ist Faschismus.
Ich finde es schlimm – wir hatten diese Ideologie vor 80 Jahren in Europa und wir haben gesehen, dass es scheisse war. Und jetzt kommen solche Ideologien überall auf der Welt zurück. Und alle sagen dasselbe. Dass sie sich etwas „zurückholen“ wollen. Egal, ob es Trump in den USA ist, die Schwedendemokraten bei uns oder die AfD bei euch in Deutschland. Und da war es uns ganz wichtig, klar zu machen, dass wir da nicht mitmachen, dass es da eine ganz klare Grenze geben muss. Darum geht es in dem Song.” – Johannes Eckerström
Elf Songs geballte Göteborg-Metal-Kante später ist klar: Avatar schaffen mit Dance Devil Dance eine (wenn nicht die) ihrer wohl besten Platten, mit der sie ihren einzigartig-freakigen Sound und Stil weiter geschärft haben und ihre Stellung im Modern Metal manifestieren können. Damit kommt niemand mehr an den Schweden vorbei.
Ein Bericht von Tamara Jungmann mit Unterstützung von Mauritz Hagemann
Foto: Johan Carlén / Offizielles Pressebild
Dance Devil Dance
Künstler: Avatar
Erscheinungsdatum: 17.02.2023
Genre: Groove Metal, Heavy Metal
Label: Black Waltz Records/Thirty Tigers
Medium: CD, Vinyl, etc
- Dance Devil Dance
- Chimp Mosh Pit
- Valley Of Disease
- On The Beach
- Do You Feel In Control
- Gotta Wanna Riot
- The Dirt I'm Buried In
- Clouds Dipped In Chrome
- Hazmat Suit
- Train
- Violence No Matter What (feat. Lzzy Hale)
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