Review
PunkrockRock
Kritik: Alex Mofa Gang - "Euphorie am Abgrund"
Mit dem Alter kommt die Weisheit, jedoch kommt mit steigenden Erfahrungen auch eine gewissen Ohnmacht, ausgelöst durch die Vielzahl an ...
VON
Kevin Postir
AM 06/10/2024
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Mit dem Alter kommt die Weisheit, jedoch kommt mit steigenden Erfahrungen auch eine gewissen Ohnmacht, ausgelöst durch die Vielzahl an Problemen und Herausforderungen, denen wir Tag für Tag ins Auge sehen. Acht Jahre zogen seit dem Debütalbum „Die Reise zum Mittelmaß der Erde“ (2016) ins Land. Seitdem haben sich die Jungs von Alex Mofa Gang weiterentwickelt, sind gereift und nutzen ihr neues Album „Euphorie Am Abgrund“, um ein kurzes Resümee zu einfach allem zu ziehen. Wie das klingt, das erfahrt ihr in unserer Review.
Beim Hören von „Euphorie Am Abgrund“ scheint es beinahe so, als wären die optimistischen Jahre der Band vorbei und als wäre die Euphorie schon einen Schritt über den Abgrund hinaus gegangen. Die neue Alex Mofa Gang-Platte ist besonders thematisch schwer und ernst. Musikalisch wird das Ganze im gewohnten und lieben gelernten Gewand der Band aus Berlin präsentiert. Und so handelt bereits der Opener-Song „Treppenhaus“ auf tanzbare und poppige Weise vom Ende einer Trennung und der Zeit danach. Die Band zeigt auch musikalisch, dass sie sich bereits in der Vergangenheit und auch auf der neusten Erscheinung auf der Schwelle zwischen Rock und Pop befindet. Dies gelingt durch treibende Gitarren und eine gradlinige, elektronisch angehauchte Songstruktur.
Alex Mofa Gang kehren vor der eigenen Haustür
Nicht nur im Songwriting, sondern auch im alltäglichen Leben fällt es häufig leichter mit dem Finger auf andere zu zeigen und das Verhalten anderer anzuprangern. Das eigene Verhalten zu reflektieren und sich Fehler einzugestehen ist da durchaus schwieriger. Auf „Euphorie Am Abgrund“ macht die Band beides und liefert damit thematisch ein rundes Album ab. So finden die Hörer:innen Songs, wie „Hand aufs Herz“, ein intimer Song, der in der Retrospektive das eigene, sowie das gemeinsame Leben beschreibt und mit einem treibenden Rock-Sound gut nach vorn geht. Das Stück „Mann von gestern“ bietet sowohl die Sicht nach außen, als auch die Innensicht.
Angeprangert wird eine maskuline Männerwelt, die veralteten und nicht zeitgemäßen Ansichten und Handlungen hinterher trauert. Ganz getreu dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“. Auch wenn das Stück musikalisch durch generische Claps und leicht befremdliche Chöre im Refrain kleinere Schwächen aufweist, so ist die Message des Songs umso wichtiger. Dabei ist es Alex Mofa Gang hoch anzurechnen, dass sie nicht nur den Zeigefinger erheben, sondern auch verdeutlichen, dass dieser besungene Mann von gestern zu Zeiten auch in ihnen wohnt und es schwer fällt, ihn ein für alle Mal herauszukehren. Diese angreifbare Offenheit muss an dieser Stelle gelobt werden.
Es wird emotional!
Seit Beginn der Band haben sich Alex Mofa Gang für den Kampf gegen einen Rechtsruck und gegen rechtsextreme Politik stark gemacht. Auf „Euphorie Am Abgrund“ lernt man die Band jedoch nachdenklicher und beinahe ohnmächtig kennen. Die klaviergetragene Ballade „Ich sing nicht mehr“ beschreibt aktuelle Geschehnisse und eine hoffnungslose Zukunftssicht, wie sie ein:e jede:r von uns schon einmal durchlebt haben dürfte. Die große Besonderheit des Stücks ist, dass keine Lösung für dieses Ohnmachtsgefühl und den aufkommenden Pessimismus gefunden wird. Auch „Wahrheit oder Pflicht“ beschäftigt sich mit Zukunftsängsten. Beschrieben werden darin mehrere Beziehungen, die zukünftig durch unterschiedliche Auslöser zerbrechen werden. Besonders die Position des Narrativs ist hervorzuheben. Die Band schafft es hier innerhalb weniger Worte eine komplette Szenerie zu umreißen, die spürbar authentisch wirkt.
Die düstere Grundstimmung des neuen Albums wird bis in den letzten Ton deutlich. „Nur ein Wort“ ist das letzte Lied auf „Euphorie Am Abgrund“ und auch dieses Stück wirkt bedrückend. Das zusätzlich sehr laute, krachhafte Ende weckt darüber hinaus das zuvor beschriebene Ohnmachtsgefühl und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Licht am Ende des Tunnels?
Beim Hören des neuen Releases von Alex Mofa Gang kann durchaus die Frage aufkommen, ob es denn noch einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft gibt. Ob es einen Weg raus aus Pessimismus und Tristesse gibt. Und ja, es gibt vereinzelte Funken des Optimismus. „Lass los“ ist eines dieser Stücke, welches eine Leichtigkeit in das neue Album bringt. Wie unschwer zu erkennen, geht es um das Loslassen, musikalisch untermalt mit einem gradlinigen Party-Sound, wie man sie beispielsweise aus Songs wie „Nacht aus Gold“ vom Album „Ende Offen“ (2019), oder auch „Montevideo“ vom Album „Perspektiven“ (2017) kennt.
Dass diese Aufbruchsstimmung sich auch auf eher schwierigere Themen übertragen lässt, beweisen Alex Mofa Gang mit dem Song „Mach neu“. Einem energetischen Rock-Song, der eine Welt außerhalb des Kapitalismus skizziert. Trotz des Bruchs in einen 3/4-Takt im C-Teil des Stücks, wodurch ein deutlich schwererer Ton angeschlagen wird, bleiben vor allem der Refrain und Parolen wie „ein Zuhause statt einer Nation“ im Ohr.
Foto: Timo Ehlert / Offizielles Pressebild
Euphorie Am Abgrund
Künstler: Alex Mofa Gang
Erscheinungsdatum: 11.10.2024
Genre: Punkrock, Rock
Label: Merchcowboy Records
Medium: CD, Vinyl, etc
- Treppenhaus
- Mann von gestern
- Lass los
- Eiszeit in Berlin
- Wahrheit oder Pflicht
- Ich sing nicht mehr
- Mach neu
- Game over
- Hand aufs Herz
- Vielleicht
- Zug um Zug
- Nur ein Wort
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