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Sleep Token: Was macht den Hype um das maskierte Kollektiv aus?
Worship.
VON
Julia Lotz
AM 11/11/2024
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Sleep Token sind in aller Munde. Und in aller Länder Europas. Wo man hinschaut, ist die maskierte Kombo entweder auf Tour, versammelt Massen an Zuschauern auf Festivals, dominiert Hitlisten – oder man redet einfach über sie. Das Publikum auf Rock-, Punk- und Metal-Shows unterschiedlicher Genres trägt Merch der Band rund um den mysteriösen Frontmann Vessel. Doch was genau macht den Hype um das maskierte Kollektiv aus UK aus?
Sleep Token setzen neue Maßstäbe
Wenn sich Bands dazu entscheiden, vollkommen identitätslos aufzutreten, dann klappt das in der Regel nicht ganz so gut. Slipknot haben es in den ersten Jahren ihrer Karriere noch durchgezogen, doch da haben sie die Rechnung ohne ihre Fans, die „Maggots“, gemacht, die jedes Detail ans Licht bringen. Ghost-Frontmann Tobias Forge hat sich ebenfalls zu erkennen gegeben, gleiches gilt für Acts wie Mushroomhead, GWAR oder Lordi. Sleep Token halten sich wacker, trotz des Hypes, der um die Band mitschwingt – und das ist gut so. Denn würden sie das nicht tun, würde das gesamte Konzept kaum aufgehen.
Neben Frontmann Vessel besteht die Band aus den Bandmitgliedern II, III und IV. We see what you did there. Weiterhin unterstützen drei Sängerinnen, die als Espera bezeichnet werden, die Formation bei den Live-Shows. Der Sänger ist das Mastermind hinter dem Projekt, ist er auch alleinig für das Songwriting verantwortlich. Bis auf die Drums produziert er im Studio auch die Instrumente selbst. Dennoch stehen im Sinne der Live-Shows die anderen drei Musiker für sich allein und scharen ebenfalls eine große Traube Fans um sich.
Neben dem Mysterium um die Identität der Band ist es auch die nicht einzuordnende Musik des Kollektivs, die so viele in ihren Bann zieht. Durch die Kombination vieler verschiedener Musikrichtungen fischen Sleep Token in einem großen Teich… ach, einem ganzen Ozean an Hörerschaften. In der Anfangszeit der Karriere hat Vessel, als er noch spärlich Aussagen zu seiner Band getroffen hat, gesagt, dass Musik einfach Musik sei. Genre-bending im großen Stil. Und das weiß zu überzeugen, wie einmal mehr die aktuelle Tour zeigt.
Konzerte als heilige Messe
Am Sonntagabend luden Sleep Token zum zweiten Stopp ihrer Deutschland-Konzerte der aktuell laufenden Tour in die Frankfurter Festhalle. Wer schon mal in der Venue an der Messe von „Mainhattan“ war, der weiß, dass sie vor allem mit ihrer Optik besticht. Leider nicht so sehr mit der Akustik. Aber das wollen wir an dieser Stelle mal außen vor lassen, haben wir es oft genug diskutiert und uns darüber beschwert.
Unfassbar passend ist aber der Aufbau der Festhalle für die Show, denn die Kuppel der Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Mehrzweckhalle erinnert an einen Dom oder eine große Kirche. Dann kann’s ja losgehen mit der Heiligen Messe!
Bilmuri eröffnet den Abend
Doch der Reihe nach. Nicht wirklich etwas mit einem Gottesdienst oder Artverwandtem hatte nämlich der erste Act des Abends zu tun. Als Opener suchten sich Vessel und Konsorten für die aktuelle Tour Bilmuri aus. Wem das erstmal nichts sagt, schaut sich am besten mal die Historie des US-Musikers an. Der Sänger, der bürgerlich Johnny Franck heißt, startete seine Musikkarriere 2010 als Mitglied von Attack Attack!, die ehemalige Band von Beartooth-Frontmann Caleb Shomo. Dort war er immerhin drei Jahre als Clean-Sänger und Gitarrist tätig, bevor er sich anschließend The March Ahead und danach seinem Projekt Bilmuri widmete.
Musikalisch geht’s hier natürlich in eine etwas andere Richtung als das, was Sleep Token machen, wobei letztere ja sowieso kaum kategorisiert werden können. Bereits zu Beginn war die Festhalle recht gut gefüllt und so hatte es Bilmuri nicht schwer, diejenigen, die da waren, mit seiner Energie zu überzeugen. Ein besonderes Highlight stellt hier die Saxophonist Gabi Rose dar, die den Musiker nicht nur an ebenjenem Instrument, sondern auch als zweite Stimme unterstützt. Stark!
Worship.
Nach kurzer Umbaupause läutete es dann pünktlich um 21 Uhr zur heiligen Messe, doch anders als man es vielleicht aus religiösen Messen kennt, fehlt hier vor allem eines: Predigten und Gebete. Denn Ansprachen, die gibt es nicht. Während des gut eineinhalb Stunden dauernden Live-Sets bestehend aus 16 Tracks wird… einfach gar nicht gesprochen. Nichts, was Fans überrascht, dennoch etwas, was für Ottonormal-Besucher von Metal- und Rock-Shows etwas ungewöhnlich ist.
Und genau da beißt sich die Katze schon wieder in den Schwanz: Das Mysterium rund um die Band und ihre Musik wird durch diese Art von Live-Shows nur verstärkt. Mit ihrem geheimnisvollen Auftreten, der (fast schon zu) perfekten Produktion, der wahnsinnigen Lichtshow (!!!), den Details in den Songs, den Kostümen und Masken und am Ende durch ihre Unnahbarkeit holt das Quartett einen Großteil ihrer Fanbase ab. Und – und das ist der Kern des Phänomens – gewinnt dadurch immer wieder neue Anhänger dazu.
In erster Instanz geht es wenig um das „Drumherum“, denn hierzu ist offiziell nichts bekannt. Die Identität der Mitglieder ist geheim, Interviews gibt es nicht und entsprechend weiß man nicht, was die Intention hinter den einzelnen Songs ist. Während Bandmitglieder anderer Bands aus „unserer Bubble“ zumeist mit Details zu jedem ihrer Songs um sich werfen, veröffentlichen Sleep Token einfach nach eigenem Gusto ihre Tracks. Und dabei ist erstmal wichtig, dass sie gehört wird – aus welchen Gründen auch immer.
Fun fact: Selbstverständlich ist die Band in unserer Redaktion schon seit eh und je ein Thema (hallo, wir sind Tastemaker, natürlich kennen wir die heißesten Acts schon von Tag 1 an), doch hier schieden sich zunächst die Geister. Mit Fug und Recht kann man wohl behaupten, dass mittlerweile mindestens 80% völlig der Faszination verfallen sind. Und der Rest die Band zumindest als das akzeptiert, was sie ist: Nicht mehr aus der Landschaft wegzudenken.
Ein Ritt durch die Historie von Sleep Token
Das aktuelle Album „Take Me Back To Eden“ von 2023 ist sicherlich das, was die bislang meisten Fans für sich gewinnen konnte; dafür sprechen allein schon die Streamingzahlen auf Spotify. Allerdings existieren Sleep Token bereits seit 2016 und könnten bereits drei Longplayer ihr Eigen nennen; zuvor erschienen „Sundowning“ (2019) und „This Place Will Become Your Tomb“ (2021) sowie mit „One“ (2016) und „Two“ (2017) auch zwei EPs.
Nichtsdestotrotz kann man – anders als bei anderen Bands – nicht an der Reaktion des Publikums festmachen, welche Stücke hier am besten funktionieren und welche nicht. Das Interessante dabei ist, dass die britische Band vor wenigen Jahren noch keine großen Venues gefüllt habt, weil die Popularität erst in den letzten zwei Jahren so sehr angestiegen ist. Während es früher eher Szene-Kenner waren, die das word gespreadet haben, sind es vor allem durch die aktuelle Scheibe von ganz allein viel mehr geworden. Ein Katalysator war hierbei sicherlich der Support-Slot bei der Tour der Architects 2023. Und dennoch sind auch die „Neuankömmlinge“ auch bei den frühen Stücken textsicher.
Vessel und Co. haben sich für ihre aktuelle Tour dazu entschieden, die Songs ihrer Platten bei den Konzerten chronologisch zu spielen, quasi in „Eras“ wie Taylor Swift. Wobei dieser Vergleich sicherlich hinkt. Allerdings führte das automatisch dazu, dass sich auch die Stimmung in der Festhalle mit dem Verlauf des Konzerts aufbaute. Highlights stellten in jedem Fall die Performances von „Atlantic“, „Alkaline“, „Chokehold“, „Granite“, „Ascensionism“, „Take Me Back To Eden“ (episch!) und „Euclid“ dar. Schmerzlich vermisst wurden hingegen „Vore“ und „Aqua Regia“, aber man kann wohl nicht alles haben.
Entlassen wurden die Fans natürlich nicht mit einer Zugabe – sondern mit „I Wanna Dance With Somebody“ von Whitney Houston. Auf dem 2020er Album „Sundowning“ findet sich ein entsprechendes Cover von Sleep Token wider.
Am Ende steht man vor der Frage, welchen Zugang man zu einer Band, ihrer Musik oder aber auch nur zu einzelnen Songs haben möchte. Will man eine persönliche Beziehung zu den Musikern aufbauen und die Musik im Detail verstehen, dann ist Sleep Token sicherlich nicht die Band, mit der man sich beschäftigten möchte. Geht es einem um die Musik, um die Kunst und eine hochwertige und tiefgründe Inszenierung, dann wird die maskierte Truppe aus UK einen sicherlich früher oder später noch in ihren Bann ziehen. In diesem Sinne: Worship.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss) beim Summer Breeze Open Air 2023
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