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Interview
Silverstein: „Haben manchmal zu sehr versucht, uns weiterzuentwickeln“
Shane Told über das 25-jährige Jubiläum, das neue Album und die Renaissance von Emo, Pop-Punk & Co.
VON
Tobias Tißen
AM 02/02/2025
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- Minuten
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Als wir Silverstein-Frontmann Shane Told zum Interview erwischen, ist er gerade in der Nähe von San Antonio, Texas in einen neuen Tourbus gestiegen. Der alte Bus war liegengeblieben – glücklicherweise am Vorabend eines freien Tour-Tages. Ansonsten hätte die zum Zeitpunkt unseres Gesprächs gerade einmal zwei Wochen alte „25 Years of Noise“-Jubiläumstour einen frühen Dämpfer erlitten.
„Die Tour läuft bisher großartig“, blickt Shane auf die ersten Wochen on the road zurück, „es ist einfach toll, Songs aus allen Phasen der Bandgeschichte zu spielen.“ Eine Geschichte, die mittlerweile ein Vierteljahrhundert umfasst. Stolzer als auf diese beachtliche Zeit ist Shane aber auf die Umstände: Bei Silverstein sind noch immer vier der fünf Gründungsmitglieder an Bord. Eine Verschnaufpause hatten sie nie nötig, veröffentlichten stattdessen in beeindruckender Regelmäßigkeit neue Musik.
Ein Selbstläufer war das nicht: „Im Vergleich zu einigen unserer Kollegen haben wir nie viel Mainstream-Aufmerksamkeit bekommen. Keine Magazin-Cover, keine Auftritte in Late-Night-Shows, nicht viel Radio-Airplay“, erinnert sich Shane an die ersten Jahre der Band, schließt dann den Bogen zur Jubiläumstour: „jetzt, 25 Jahre später, spielen wir die größte Tour unserer Karriere. Das bedeutet mir wirklich viel.“
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Emo ist keine Modeerscheinung!
Dass Silverstein in den nächsten Monaten große Venues auf der ganzen Welt zum Beben bringen darf, liegt vermutlich auch an der Renaissance, die die alternative Musik der 2000er gerade erlebt. Festivals wie das When We Were Young in Las Vegas schießen aus dem Boden, verkaufen sich in Minuten aus. Bands wie Silverstein spielen die größten Tourneen ihrer Karriere.
Warum ist das so? Für Shane ist das glasklar: „Ein Grund für die Langlebigkeit ist, dass sie echt ist! Unsere Musik hatte immer Bedeutung und Emotionen, war nie nur ein Trend.“ Und mit seinem Vergleich trifft er den Nagel auf den Kopf: „Emo oder Screamo wurde damals oft mit 80er-Hair-Metal verglichen. Sie sahen den Style und dachten sich: ‚Ach, schon wieder so eine Modeerscheinung.‘ Was sie nicht verstanden haben, war, dass 80er-Hair-Metal oft keine echten Emotionen hatte. Die Songs handelten von Partys, schnellen Autos und Mädchen. Bei unserer Musik hingegen ging es immer um echte Emotionen. Der ganze Look dieser Szene war nie wichtig.“
Um darin bestätigt zu werden, müsse er nur bei einer Silverstein-Show ins Publikum schauen: „Da sehe ich immer noch viele junge Menschen. 18-, 19-Jährige, die diese Musik gerade für sich entdecken. Keine Ahnung, wie sie überhaupt darauf aufmerksam werden. Aber sie tun es. Und das zeigt mir, dass diese Musik immer noch wichtig ist.“
„Wir wollen keine Dinosaurier sein“, aber …
25 Jahre Silverstein. Als sich die Kanadier im Februar 2000 zusammenfanden, schafften gerade HIM mit „Join Me“ ihren ganz großen Chart-Durchbruch. Gesellschaft in den deutschen Single-Charts leisteten den finnischen Goth-Rockern unter anderem die Backstreet Boys, Britney Spears und Tom Jones feat. Mousse T mit ihrer „Sex Bomb“. Jaja, die Musiklandschaft war damals eine andere. Die Frage, welche Veränderungen innerhalb der Musikszene er besonders bemerkt habe und ob er diese für positiv oder eher negativ halte, lag also auf der Hand. „Wir wollen keine Dinosaurier sein“, verspricht Shane – stört sich aber an zwei großen Entwicklungen für Bands und Musiker.
„Eine große Veränderung ist, wie Musik heute promotet wird“, berichtet der Frontmann, „heute läuft alles über riesige Marketingkampagnen und Social Media. Wir filmen quasi alles; immer und überall. Früher hatten wir nie einen Fotografen oder einen Social-Media-Manager mit auf Tour. Nie! Heute ist das eine wichtigsten Personen im Team. Das ist schon verrückt und ehrlich gesagt, gefällt mir dieser Aspekt nicht besonders. Ich bin doch Musiker und kein Social Media-Influencer.“
Eine zweite Entwicklung, die Shane stört oder zumindest bedauert, ist der Wechsel von einer Album- zu einer Single-Kultur. „Heute ist es eher so, dass man eine Single promotet – und es gibt nur diese eine Single. Und dann kommt vielleicht irgendwann die nächste“, so Shane, „aber für uns ist Musik dazu da, auf einem Album zu existieren. Aber zum Glück wollen unsere Fans ganze Alben. Sie wollen ein vollständiges Kunstwerk, das sie als Ganzes erleben können.“
Ein Glück, dass in diesem Jubiläumsjahr nicht nur eins, sondern ganze zwei Silverstein-Platten auf die Fans warten…
„Manche nennen es ein Doppelalbum, andere sagen, es sind einfach zwei Alben.“
…aber sind „Antibloom“ und „Pink Moon“ überhaupt zwei Alben oder eher zwei Teile eines Ganzen? Eine Frage, die selbst der Sänger der Band nicht so richtig beantworten kann. Den Grund, warum uns 2025 so viel Silverstein-Musik erwartetet, hingegen schon: „Wir hatten ganz einfach mehr Songs als je zuvor. Wir hatten 25 Songs, die wir alle mochten und die auch fertig waren.“ Nachdem die Band lange damit gehadert hätte, welche Songs denn jetzt gekillt werden sollen, kam Drummer Paul Koehler die Idee, zwei Alben mit jeweils acht Songs zu veröffentlichen. „So mussten wir immer noch neun Songs streichen, aber das fiel uns schon deutlich leichter“, erzählt Shane lachend.
Eine klare Abgrenzung zwischen „Antibloom“ und „Pink Moon“ gebe es so auch nicht. Schließlich fiel die Entscheidung für zwei Platten ja auch erst, nachdem alle Songs im Kasten waren. „Ich würde aber sagen, dass zweite Album ist vielleicht emotionaler. Es erinnert stellenweise mehr an unseren alten Stil“, geht Shane doch noch etwas auf die Unterschiede ein.
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„Wir haben manchmal zu sehr versucht, uns weiterzuentwickeln.“
Aber was für ein Sound erwartet uns insgesamt von Silverstein 2025? Eine Rückbesinnung auf die Anfangstage zum Jubiläum oder auf zu neuen Ufern?
„Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren manchmal zu sehr versucht, uns weiterzuentwickeln und Neues zu probieren. Und dabei vielleicht nicht genug von dem gemacht, was uns ursprünglich ausgemacht hat“, blickt Shane zurück. Aber warum sich selbst so einen Druck machen? Das fragten sich auch die Kanadier: „In den letzten Jahren dachten wir immer: ‚Nein, wir müssen uns weiterentwickeln.‘ Aber jetzt haben wir gemerkt, dass wir nicht vor unserem eigenen Sound davonlaufen sollten. Wir können doch auch von uns selbst beeinflusst sein. Das heißt nicht, dass wir uns einfach selbst kopieren.“
„Wir schreiben keine neuen Songs, die sich wie ‚My Heroine‘ oder ‚Smile In Your Sleep‘ anhören. Aber wir haben uns erlaubt, Elemente unseres klassischen Sounds wieder aufzugreifen. Wir haben uns gedacht: ‚Lasst uns einfach das machen, was sich für Silverstein richtig anfühlt.‘ Und wenn das bedeutet, dass es sich ein bisschen wie unsere alten Sachen anfühlt, dann ist das eben so. Es gibt einige Stellen auf dem Album, die mich total an ‚Discovering The Waterfront‘ erinnern. Oder sogar an ‚When Broken Is Easily Fixed.‘“
„Alle wollten klingen wie Bring Me The Horizon.”
Einfach das zu machen, was sich richtig anfühlt, heißt auch: Weniger darauf schauen, was gerade angesagt hat. Und auch das taten Silverstein: „Vor ein paar Jahren gab es einen riesigen Trend: ALLE Bands wollten klingen wie Bring Me The Horizon. Einfach, weil sie so bahnbrechende Musik gemacht haben. Sogar wir haben Songs, die in diese Richtung gehen. Aber dieses Mal haben wir einfach mehr nach innen geschaut. Deshalb klingt der Song ‚Stress‘ zum Beispiel auch absolut nicht nach einer modernen Band. Er erinnert eher an Limp Bizkit.“
„Der beste Silverstein-Song, den wir je geschrieben haben!“
Die Retro-Nummer mit Punk-Spirit ist für Shane aber nicht das Highlight von „Antibloom“: „‚Don’t Let Me Get Too Low‘ ist ein Song, den ich sehr mag. ‚Skin & Bones‘ ist für mich aber der persönlichste Song auf dem Album. Er handelt vom Tod meiner ehemaligen Freundin, die ermordet wurde. Jedes Mal, wenn ich ihn singe, denke ich an sie. Es ist einer der Songs, bei denen ich wirklich jedes einzelne Wort fühle.“
Aber auch „Skin & Bones“, der 2024 als erste Single von „Antibloom“ veröffentlicht wurde, ist nicht das Beste, was uns dieses Jahr von Silverstein erwartet. Zumindest verspricht das der Frontmann: „‚Negative Space‘ ist vielleicht der beste Song, den wir je geschrieben haben. Ich kann es kaum erwarten, dass die Leute ihn hören.“ Leider dauert das noch ein bisschen: „Negative Space“ platzierten Silverstein auf „Pink Moon“, das später im Jahr erscheinen soll. Erscheinen WIRD, wie Shane verspricht.
50 Jahre Silverstein?
Und dann? Wie geht es weiter, wenn das Jubiläumsjahr mit zwei Platten und Welttournee vorüber ist? Dürfen wir uns noch auf viele weitere Jahre mit regelmäßig neuer Musik von Shane Told und Co. freuen?
„Ich erinnere mich an eine Werbung im Radio über die Scorpions. Da wurde ihr 50-jähriges Jubiläum angekündigt. Aber sie machen immer noch weiter“, so Shane, „Ich bin jetzt 43 Jahre alt und es ist schwer vorstellbar, dass ich mit 70 noch über die Bühne springe. Aber als wir die Band gegründet haben, hätten wir auch nie gedacht, dass wir 25 Jahre später noch hier stehen. Also: Wer weiß?“
Gerade als Shane die Abschlussfrage beantwortet hat, rollt der Ersatzbus an, Silverstein können die Fahrt in Richtung Albuquerque fortsetzen. Ende Februar geht es für die Band dann auch über den Atlantik, zwischen dem 7. und 15. März stehen sie im Rahmen ihrer „25 Years Of Noise“-Tour in insgesamt sechs deutschen Städten auf der Bühne. Das Album „Antibloom“ erscheint am 21. Februar.
Hier könnt ihr Silverstein 2025 in Deutschland sehen
07.03.2025 – Wiesbaden, Schlachthof
08.03.2025 – München, Backstage Werk
11.03.2025 – Nürnberg, Löwensaal
13.03.2025 – Berlin, Huxley’s Neue Welt
14.03.2025 – Hamburg, Grosse Freiheit 36
15.03.2025 – Köln, Palladium
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Jana Boese (synapsengift)
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