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Interview

Propagandhi: „Faschismus ist die logische Konsequenz unserer Gesellschaft“

Frontmann Chris Hannah im Gespräch.

VON AM 22/03/2025

Weltweiter Rechtsruck, braun ist wieder in Mode. Der Planet brennt, aber die globale Klimapolitik fährt in eine Sackgasse. Putins „dreitägige Spezialoperation“ geht in Jahr vier. Trump pöbelt sich ein weiteres Mal zum mächtigsten Mann der Welt. Und Elon Musk mimt den besten Bond-Bösewicht seit Blofeld.

Auch wenn Frontmann Chris Hannah mir im Interview versichert, dass die Rückkehr von Propagandhi nach acht Jahren Pause reiner Zufall ist, erscheint es doch fast unheimlich passend. Seit ihrer Gründung 1986 haben sich die Kanadier den Ruf einer der kompromisslosesten Bands erarbeitet, die Punk je hervorgebracht hat. Kompromisslos in ihrem Aktivismus für Antifaschismus, Tierschutz, Feminismus, Kapitalismuskritik oder Umweltpolitik – aber auch musikalisch. Ihr Sound verbindet (spätestens seit dem Album „Supporting Caste“ aus 2009) melodischen Hardcore mit thrashigen Gitarrenriffs und komplexen Songstrukturen, die die Dringlichkeit ihrer politischen Botschaften eindrucksvoll unterstreichen.

Direkt zu Beginn des Gesprächs mit Chris Hannah wird mir klar: Hier spricht niemand, der routiniert PR-Floskeln runterbetet. Der bloß sein neues Album vermarkten will. Vielmehr begegne ich einem Künstler, dessen persönlicher Zweifel und dessen ehrliche Sorge um die Weltlage die treibenden Kräfte hinter seiner Musik sind. Und das auch noch nach fast 40 Jahren. Keine Spur von Altersmüdigkeit, von Routine. Das beweist auch die erste Single des neuen Albums, „At Peace“:

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Im Gefängnis oder tot – die Suche nach Frieden im Chaos

„Wenn ich tun würde, was meiner Meinung nach getan werden müsste, wäre ich entweder im Gefängnis oder tot“, sagt Chris nach ungefähr fünf Minuten unseres Gesprächs. Ein Satz, der sitzt. Er bezieht sich dabei auf Aaron Bushnell, einen US-amerikanischen Soldaten, der sich 2024 vor der israelischen Botschaft in Washington selbst verbrannte – als verzweifelter, drastischer Protest gegen den andauernden Genozid in Gaza. Eine Tat, die Chris sichtbar beschäftigt: Bushnell hatte den Mut, nicht länger Teil eines Systems zu sein, das er moralisch ablehnte. Er tat, was er für richtig hielt. Ich wünschte manchmal, ich hätte diese Art von Mut. Aber ich habe ihn nicht. Deshalb bin ich nicht at peace.“

Diese Aussage ist zentral, um das neue Album wirklich zu verstehen: „At Peace“ ist nicht einfach nur eine sarkastische Bemerkung, kein ironischer Kommentar auf die düstere Weltlage. Es ist vielmehr eine ehrliche, beinahe schmerzliche Reflexion von Chris‘ innerem Konflikt. Ein Konflikt, der sich durch sein gesamtes Werk zieht und auf „At Peace“ besonders deutlich zutage tritt: Wie kann man in einer Welt leben, deren Zustand man eigentlich nicht akzeptieren kann?

„Es ist der psychologische Kampf darum, herauszufinden, wie ich von jetzt an ein sinnvolles Leben führe – in Anbetracht der Perspektiven, die uns auf dieser Erde erwarten. Innerhalb dieser Zivilisation“, erklärt er. Es geht um die Suche nach einem inneren Frieden, die angesichts der äußeren Umstände fast unmöglich scheint.

Vielleicht ist „At Peace“ also weder reiner Sarkasmus noch Ironie, sondern vielmehr Ausdruck eines inneren Dilemmas, in dem Chris – und letztlich viele Menschen aktuell – gefangen sind.

Von Mussolini bis Trump – der unvermeidbare Weg in den Faschismus?

„Die Zivilisation, die wir geschaffen haben, verwandelt uns von klein auf in etwas, das wir eigentlich gar nicht sein sollten.“

Mit dieser Aussage bringt Chris in unserem Interview eine zentrale These des Albums auf den Punkt. Es überrascht deshalb nicht, dass unser Gespräch schon bald beim weltweiten Rechtsruck und dem Erstarken nationalistischer Tendenzen landet – einer Entwicklung, die auch Europa betrifft. „Ich finde das ziemlich beängstigend“, betont Chris. Erst kurz vor unserem Interview alarmierte ihn, dass Donald Trump ein 200 Jahre altes Gesetz aus der Schublade holte, um Menschen ohne ordentliches Verfahren festhalten und abschieben zu können.

„Das war dann das erste Mal, dass ich dachte: ‚Wollen wir wirklich durch die USA touren?‘ Das ist eine neue Stufe des Irrsinns.“

Zur Einordnung: Trump beruft sich auf den Alien Enemies Act von 1798 – ein Relikt aus der Frühzeit der USA, das es der Regierung erlaubt, Personen aus feindlichen Staaten ohne Gerichtsverfahren zu inhaftieren oder abzuschieben.

Dann holt Chris zum Thema aus: „Durch meine Songs auf dem neuen Album zieht sich der rote Faden, dass ich mich frage, ob der Standardmodus unserer Zivilisation nicht zwangsläufig zum Faschismus führen muss.“ Für ihn ist der Faschismus nicht einfach eine bedauerliche Entgleisung, sondern womöglich die logische Konsequenz unserer gesellschaftlichen Strukturen: „Vielleicht ist es ganz normal, dass diese Machtkonzentrationen letztlich Faschismus erzeugen.“

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Als Beispiel für diesen pessimistischen Gedanken dient der Song „Benito’s Earlier Work“ auf „At Peace“: Benito Mussolini, bevor er zum „karikaturhaften, grotesken Faschisten“ wurde, sei eigentlich ein Kritiker von Machtkonzentrationen gewesen. Doch mit der Macht kam auch der Wandel: „Sobald er Zugang zu Machtstrukturen bekam, änderte sich seine Sicht auf die Welt. Und ich frage mich, ob das einfach der natürliche Verlauf ist – ob die Teilnahme an den derzeitigen Strukturen zwangsläufig zum Faschismus führt“, führt Chris aus.

Eine ernüchternde Aussage, die tief blicken lässt. Zuhause in Kanada vor seinem Laptop sitzend wirkt der Propagandhi-Sänger auf mich ehrlich betroffen, aber dennoch gefasst. Vielleicht hat sich über die Jahre eine gewisse Gelassenheit eingestellt – oder eher ein trotzig-humorvoller Pragmatismus.

Mit Ironie gegen die Verzweiflung

Denn trotz der schweren Themen blitzt auf „At Peace“ an vielen Stellen Ironie, Sarkasmus, bitterer Humor durch. Etwas, das die Alben der Band seit jeher ausmacht. „Ich denke, es ist wichtig, in all dem Chaos auch Momente des Vergnügens zu finden“, erklärt Chris.

Er erwähnt Chi Pig, den 2020 verstorbenen Frontmann der kanadischen Hardcore-Punk-Band SNFU, die Propagandhi stets als große Inspirationsquelle nannten. Chi Pig war bekannt für seinen humorvollen Umgang mit ernsten Themen. „Nach seinem Tod wollte ich beim Songwriting irgendwie seinen Geist einfangen“, sagt Chris. Besonders gelungen ist das etwas im Song „Cat Guy“, wo Propagandhi auf skurrile Weise eine moralische Zwickmühle konstruieren:

„If baby Hitler and your family dog were both found drowning in a lake and you could only rescue one – which pitiful creature would you condemn? Which of God’s children would you save? […] As for me, I never learned to swim. Always been a cat guy anyways.“

Touren zwischen Pflichtgefühl und Frustration

Zum Abschluss unseres Gesprächs frage ich Chris, was ihn überhaupt noch auf die Bühne treibt – immerhin kommen die Kanadier schon bald im Paket mit Pennywise, Comeback Kid, The Iron Roses und Dead Pioneers auch nach Deutschland.

Die Antwort ist überraschend ehrlich: „Persönlich habe ich nicht viel Motivation dafür. Wenn Jord, Todd und Sulynn nicht wären, würde ich definitiv zu Hause bei meinen Kindern bleiben.“ Er spricht offen darüber, dass ihm das Tourleben zunehmend schwerer fällt – logistisch, finanziell, vor allem auch emotional. Und dennoch macht er immer weiter: „Ich mache es, weil es um diese Crew geht – um diese bestimmten Leute, zu denen ich aufschaue. Ich fühle mich verpflichtet, bei den Live-Shows mitzumachen.“

„Aber ich gehe nicht raus, um zu jammern“, fügt er hinzu, „sondern versuche, so viel Spaß wie möglich zu haben.“ Vielleicht ist genau das sein Weg, mit einer Welt zurechtzukommen, die er weder ändern noch akzeptieren kann: die Hoffnung bewahren, Spaß suchen, der Resignation trotzen – und irgendwie Frieden finden. Eben doch irgendwie At Peace sein.

„At Peace“ erscheint am 02. Mai 2025. Wenn ihr Chris Hannah und Propagandhi live erleben wollt, habt ihr an den folgenden Terminen die Chance dazu:

23.05.25 – Augsburg, Gaswerk Open Air
25.05.25 – Wiesbaden, Schlachthof
27.05.25 – Köln, Live Music Hall
29.05.25 – Hamburg, Docks
30.05.25 – Berlin, Huxleys Neue Welt

Foto: Larson Decker / Offizielles Pressebild

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