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Interview
NOFX-Frontmann Fat Mike: „Das wahre Glück im Leben, das sind Musik und Sex“
Der Musiker über das neue Album, körperlichen Corona-Zeitvertreib und Kritik an der Gesellschaft.
VON
Li Smilgies
AM 22/02/2021
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Treffen sich zwei Bandshirt-Träger und reden über Punk, Sex und natürlich das neue NOFX-Album “Single Album”. Wir freuen uns gemeinsam auf den 26. Februar 2021. Das vierzehnte Studioalbum bahnt sich seinen Weg, das erste nach fünf vergangenen Jahren. Erscheinen wird es natürlich via Fat Wreck Chords, dem Label des Bandmitbegründers Michael „Fat Mike“ Burkett. Mit dem durften wir uns exklusiv unterhalten.
NOFX-Frontmann Fat Mike im Interview zum neuen Album „Single Album“
MC | Li: Guten Morgen! Bei dir ist’s Morgen, richtig? Danke, dass du Zeit gefunden hast, mit uns zu quatschen. Das freut uns sehr!
Sehr gern, ja ich bin gerade in San Francisco, hier ist‘s 10 Uhr am Morgen. Ich fahre aber momentan viel herum. Hier bekomme ich bis jetzt am meisten vom Lockdown mit. Alle Restaurants haben zu und ich habe keinen Roomservice im Hotel.
MC | Li: Hier ist auch alles geschlossen. Wie geht es dir sonst heute?
Ich bin sehr glücklich. Ich habe viel Zeit für die Musik gefunden im letzten Jahr. Ich habe allein in den letzten drei Monaten über 50 Songs geschrieben, war auf Entzug und habe jetzt eine Freundin, die genauso kinky ist wie ich. Dafür ist natürlich gerade eine gute Zeit, es gibt immer etwas Neues zu erleben, wenn man so ein Sexleben hat.
MC | Li: Zu zweit im Lockdown lässt sich die Zeit auf jeden Fall gut rumkriegen! Ein kleiner Eisbrecher zu Beginn (den wir jetzt wohl gar nicht mehr brauchen): Herzlichen Glückwunsch zum 30. Jubiläum des Albums „Ribbed“! Wie fühlt es sich an, auf die letzten 30 Jahre zu blicken?
Ha, stimmt. Ein cooles Gefühl. Es ist natürlich viel passiert, aber am Ende bereue ich davon nichts.
MC | Li: Wie fühlt es sich an, als Teil des Erbes des frühen Punks gehandelt zu werden?
Ich fühle mich nicht wirklich als ein Erbe (lacht). Wir machen einfach unsere Musik. Wir sind einfach ein paar goofballs, fahren auf Tour, hängen rum, machen unser Ding.
MC | Li: Was müssen deiner Meinung nach kommende Generationen mitbringen, um den Punk und seine Ideale und „Werte“ weiterzuführen?
Schwer zu sagen. Wenn man jung ist, will man noch Mauern einreißen, man hat noch viel vor sich. Irgendwann setzt man Prioritäten. Es ist wichtig, ständig Regeln in Frage zu stellen. Punk heißt, sich den Regeln zu widersetzen und einfach zu leben. Zu machen, was man will. Ich habe irgendwann gemerkt, dass die Geschlechterrollen auch in der Punkszene noch sehr festgefahren sind. Deshalb distanziere ich mich heute eher. Das schränkt mich zu sehr ein.
MC | Li: Lass uns über euer kommendes Album sprechen! Ihr selbst bezeichnet es als „ein dunkles Album“ und auch das Cover ist dunkler, gar schlichter. Es verzichtet auf den typischen Comic- und Collagenlook, den wir von euch kennen. Hat sich das unabhängig voneinander entwickelt oder ist es absichtlich abgestimmt?
Es sieht wie ein fettes Album aus. Wir wollten ein fettes Album machen und es ist auch eins geworden, passt also. Ursprünglich war ein Doppelalbum geplant, die zweite Seite war auf jeden Fall freundlicher, da waren auch lustige Songs dabei. Ein paar haben wir auch letztes Jahr als Singles herausgebracht, einige wieder verworfen.
MC | Li: Du hast es vorhin schon erwähnt, du warst vor kurzem erfolgreich auf Entzug. Gratulation dazu erstmal! Der Opener des Albums, „The Big Drag“, ist musikalisch im Vergleich zu euren anderen Songs ziemlich unberechenbar mit vielen unregelmäßigen Akkord- und Rhythmuswechseln. Es hört sich an, als müsste man sehr aufmerksam sein beim Spielen. War das eine Art Versicherung, damit du vor allem auch auf der Bühne nüchtern bleibst?
Hahaha, das ist eine gute Frage. Ich sag’s wie es ist: Nein, wir werden den Song nie spielen können. Ehrlich gesagt, haben wir ihn auch noch nie gespielt. Als ich den Song schrieb und den anderen zeigte, war Smelly [NOFX- Drummer Erik „Smelly“ Sandin, Anm. d. Red.] auch eher überrannt. Wir haben den Song auch im Studio nie gespielt, eher zusammengesetzt, die Drums haben wir später einzeln einfügt.
MC | Li: Der Song enthält zweimal die Zeile „Nothing is ever gonna change, nothing will ever be okay.” Das klingt woke, aber auch ziemlich final und endgültig. Fühlst du dich so auch?
Wir müssen uns nichts vormachen. Die Welt wird zusehends trister. Ich glaube, in 50 Jahren wird sie kein äußerst wohnlicher Ort mehr sein. Wir sehen es ja jetzt schon am momentanen Geschehen: Die Impfung wird die Probleme nicht lösen, es ist wie eine Grippe. Selbst wenn alle geimpft sind – nächstes Jahr kommt die Krankheit trotzdem zurück. Aber so ist es nun mal. Die Kunst bei alldem ist es, trotzdem sein Glück zu finden.
Als ich das Album geschrieben habe, war ich zum ersten Mal wirklich deprimiert, depressiv. Ich habe die ganze Zeit getrunken und war auf Drogen, auch im Studio – letzteres war tatsächlich eine Premiere. Als ich jetzt auf Entzug war, war sogar dem Oberarzt nicht klar, was ich dort wollte. „Du bist kein Alkoholiker.“, sagte er, „Deinen Organen geht es gut, du bist der lustigste Typ im Haus – warum bist du hier?“. Ich hatte einfach nie gelernt, mit Problemen umzugehen, stattdessen dann lieber getrunken. Ich bin jetzt einige Monate nüchtern und ich weiß: Das wahre Glück im Leben, das sind Musik und Sex. Beides zugänglich für jeden!
MC | Li: Bleiben wir mal in der Richtung. Du sagst selbst, der Text zu „Fuck Euphemism“ ist bis jetzt dein liebster jeher. Wie kam es zum Songtitel?
In den letzten Jahren kamen einige Songs namens „Fuck You“ raus. Von Rancid, Bad Religion, usw. – das war mir nicht genug. Ich sage nicht, sie “ging von uns”, sondern sie “ist tot”. Scheiß auf diese Euphemismen. Mit dem Wortspiel im Song bin ich sehr zufrieden.
MC | Li: Es scheint, dass unsere Gesellschaft in den letzten Jahren viel offener geworden ist. Vor allem Themen rund um die LGBTQ+ Community wurden salonfähiger. Du gehst sehr offen mit deiner Sexualität um und identifizierst dich als queer. Wie nimmst du selbst den gesellschaftlichen Wandel wahr und fühlst du dich heutzutage wohler?
Den Wandel bemerke ich auch, besonders auch an meiner Tochter. Zum letzten Vatertag hat sie mir echt tolle High Heels geschenkt! Da habe ich mich wirklich gefreut. Als ich das erste Mal mit meiner neuen Freundin geschlafen habe, war ich cross-dressed [Cross-Dressing: das Tragen von Kleidung, die innerhalb der Geschlechterordnung als typisch für das jeweils andere Geschlecht gilt, Anm. d. Red.], beim zweiten Mal war ich nackt und sie bat mich, wieder etwas Feminines zu tragen. Sie lässt mich diese Seite besonders ausleben, unterstützt mich dabei und steht auch selbst drauf. Das hatte ich so auch noch nie.
Das Kritisieren „anderer“ Menschen, wie zum Beispiel auch beim Rassismus, ist eins der Luxusprobleme unserer Gesellschaft. Das ist gesuchte Beschäftigung. Als es noch ums pure Überleben ging, hat sich darum niemand geschert.
MC | Li: 2018 hast du ja auch deine Herren Unterwäschelinie „Fatale“ gegründet, die viele eher typisch weibliche Stücke beinhaltet. Läuft das noch und hast du noch Spaß in der „Modebranche“ mitzumischen?
Wir mussten das alles sehr runterfahren, gerade auch wegen Corona. Planmäßig wollen wir danach wieder etwas mehr Arbeit hineinstecken. Ich arbeite jedoch momentan an einem anderen Projekt, das mir auch sehr viel Freude bereitet.
MC | Li: Möchtest du uns Einblick gewähren?
Ich erfülle mir einen großen Traum und werde ein Museum eröffnen. Den Standort habe ich vor kurzem gekauft: Ein reichlich großes Haus in Las Vegas. Erst gestern habe ich wieder mit einigen Leuten dazu telefoniert, mit Misfits beispielsweise. Alle wollen dabei sein, alle wollen Teil des Museums werden.
MC | Li: Wow! Wir haben ein kleines Museum hier in Berlin, das „Ramones Museum“. Können wir uns das so in der Art vorstellen? Wann planst du die Eröffnung?
Nun ja, es wird wohl sehr viel größer, möchte ich meinen. Vom Anbeginn des Punks bis heute, nicht nur einen Teil um die 80er. 12.000 Quadratmeter hat die Location und wir planen mit einer Eröffnung im Oktober.
MC | Li: So zeitig schon? Das klingt nach einem straffen Zeitplan!
Der Standort ist gekauft. Wir werden demnächst sanieren und um Exponate kümmere ich mich auch schon. Ich glaube, das kann man so planen.
MC | Li: Du sagst, „Single Album“ stellt euer bisher persönlichstes Werk dar. Könntest du dir vorstellen, jemals etwas zu schreiben, nur weil das Publikum es hören will?
Auf keinen Fall (lacht). Das ist auch der Grund, weshalb NOFX bis heute bei keinem Major unter Vertrag sind. Das ist für mich dann auch kein Punk mehr, es geht ja darum zu machen, was man selbst will.
MC | Li: Ich liebe eure ‚Selbst-Hommage’ „Linewleum“. Wie genau seid ihr auf die Idee gekommen, insbesondere Avenged Sevenfold und später für das Video auch andere Künstler wie Frank Turner und August Burns Red einzubeziehen? Sehr cool nebenbei, wie man sowohl “new” als auch “old” im Wort unterbringen kann!
Ja, an Wortspielen mangelt es nicht. In erster Linie wollten wir die Coverbands in die Videos aufnehmen. Deshalb kam ja auch noch das zweite ins Spiel, weil wir einfach so vielen wie möglich Aufmerksamkeit schenken wollten. Avenged Sevenfold kamen dann schnell dazu, der Kontakt war ja auch schon da. Wir nehmen sie textlich übrigens etwas hopps (lacht): „When most hopeless bands play it wrong“ – das meint Avenged Sevenfold.
MC | Li: Lass uns noch einmal in Erinnerungen schwelgen: Als ihr in den 80ern mal in Frankfurt gespielt habt, demonstrierte eine Gruppe feministischer Aktivistinnen wegen des Songs „On The Rag“ (zu Deutsch: „Sie hat ihre Tage“), den man als frauenfeindlich auslegen KANN, gegen euren Auftritt. Während der Show warfen die Feministinnen Feuerwerkskörper und Bierflaschen auf die Bühne und sabotierten dazu noch die Lautsprecheranlage. Erinnerst du dich daran noch? Wie schaust du heute auf die Nacht zurück?
Ich erinnere mich! Der Song ist aber definitiv nicht frauenfeindlich gemeint. In besagter Nacht, als wir alle schlafen gegangen waren, habe ich gedacht, ich muss die Musik jetzt aufgeben (lacht).
MC | Li: Wo wir hier gerade thematisch in Deutschland sind: Welche deutschen Punkbands kennst du und hast du vielleicht Favoriten oder Kontakte?
Ich fand WIZO immer super, deshalb habe ich sie ja auch gesigned. Beatsteaks sind auch cool, wir kennen uns über eine Ecke. Die Ärzte und Die Toten Hosen kenne ich auch, von letzteren habe ich sogar eine 7“ Vinyl.
MC | Li: Zum Schluss brennt natürlich noch eine Frage. Das Album war eigentlich als Doppelalbum geplant. Habt ihr diese Art von Release nur verschoben oder ganz von der Liste genommen? Können wir uns da noch auf was freuen?
Nein, ein Doppelalbum planen wir nicht mehr. Man verfasst das ganz anders. Ich habe in den vergangenen Monaten viel geschrieben, wir planen, ein weiteres Album noch dieses Jahr herauszubringen. Was soll ich sonst gerade tun?
Übrigens war auch für das Doppelalbum der Titel „Single Album“ geplant. Hat ja jetzt immer noch gepasst (lacht). Man fragt sich jetzt, „Warum der Titel, klar, dass das ein Single Album ist“. Der Scherz ist quasi noch besser geworden.
MC | Li: Mike, ich hoffe, unser Gespräch hat dir einen guten Start in die Woche ermöglicht. Vielen Dank für deine Zeit und viel Erfolg mit dem neuen Album!
Danke dir! Auf jeden Fall, es war sehr ein sehr cooles Interview. Take care!
Fragen von Li Smilgies und Sebastian Scheele
Foto: Joe Leonard / Offizielles Pressebild zu NOFX
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