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Corelumne
Was Behemoth-Frontmann Nergal über den modernen Metal sagt, klingt stark nach altem Mann
Hat man sich hier etwa selbst kritisiert?
VON
Rodney Fuchs
AM 08/01/2023
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Dass Nergal ein Mann ist, der gerne seine Meinung äußert ist bekannt. Es wundert also wenig, dass sich der Behemoth-Kopf zu politischen wie auch musikalischen Themen äußert. Mit einer Aussage hat er dem australischen Heavy Mag gegenüber eine Debatte geöffnet. Der moderne Metal sei ihm zu unorganisch, seine eigene Musik aus gewissen Gründen natürlich nicht… doch ist dem wirklich so?
Nun ist klar, dass musikalisches Empfinden und Geschmack Dinge sind, die zweifelsfrei an Subjektivität geknüpft werden. Objektiv auf Musik zu schauen ist ein Aspekt, der auch im Musikjournalismus, der sich stets darum bemüht, schier unmöglich ist. Am Ende ist dieses Empfinden, wie auch die Meinung dieser Corelumne, nichts anderes als eine individuelle Wahrnehmung, in der es weder richtig noch falsch geben wird.
Das Streben nach einem organischen Sound
Wer Punkrock hört, erwartet in vielen Songs einen organischen Sound. Doch was ist das eigentlich? Als organisch gilt, was weitestgehend unbearbeitet ist. Ein organischer Gitarrensound klingt nach einem richtigen Gitarrenamp und keineswegs nach einem digitalen Modelling Amp (wobei diese immer besser und organischer klingen, aber das ist ein anderes Thema).
Statt digitalen Synthesizern sind es richtige (klassische) Instrumente, die organisch klingen. Ein richtiges Klavier, eine Violine, ein Chor oder Gesang, der weitestgehend unbearbeitet ist. All das sind Aspekte, die man als organisch aufgreifen kann.
Genres wie Garage Rock, Punk, aber auch Black Metal haben sich eine solche Ästhetik aufgebaut, die dreckig, rotzig – organisch eben – klingt. Dass es Bands gibt, die diese Ästhetik auf das heutige Produktionsniveau anpassen, ist ein logischer Schritt.
Die digitale Ästhetik
Schauen wir in Genres, wie den Metalcore, sind wir bereits in einem Produktionslevel angekommen, in dem eine Unperfektheit nahezu nicht existiert. Quantisiertes Schlagzeug, clean editierte Gitarren-Riffs und Vocalspuren, die mit Tools wie Melodyne oder Autotune perfektioniert werden, gehören zur Ästhetik des Genres.
Ein Snareschlag wird im Studio verdoppelt und mit Samples hinterlegt, um noch fetter zu klingen. Dabei greift man gerne zu VSTs (digitalen Instrumenten, die gesampled wurden). Auch VSTs können, wenn sie gut produziert sind, annähernd wie ein echtes Instrument klingen – in den meisten Fällen fehlt es aber am angesprochenen, organischen Sound. Glaubt man Nergals Äußerung, wäre schon der Gebrauch eines Noise-Gates ein Weg, der sich vom organischen Sound entfernt.
Das Produktionsniveau
Zugegeben, die Organik einer Produktion hängt immer davon ab, wer ein Album produziert – aber eben auch von den Vorstellungen einer Band. Ich stelle mir vor meinem inneren Auge folgende Szenerie vor, in der man als Musiker*in bei einem Produzenten steht, ähnlich wie an der Theke einer Metzgerei. „Wie organisch soll’s denn sein?“ – „Darf’s n bisschen mehr sein?“ – „Wollen se nich noch n bisschen mehr Polish? Das is‘ heut‘ im Angebot…“
Ein weiterer Faktor ist das angesprochene Produktionsniveau. Denn im Jahr 2023 mit einer starken Produktion herauszustechen, ist nahezu unmöglich – viel zu hoch ist dieses Niveau bereits bei lokalen Acts, die nur so eine Chance haben, auf sich aufmerksam zu machen.
Doch gerade, weil es immer einfacher wird, Musik zu produzieren und man nicht studiert haben muss, um sich Producer zu nennen, ist die Vielfältigkeit der Musik so präsent wie nie zuvor. So erkennt auch MoreCore-Leser Krastan A., dass man mit 3 Plug-ins heute bereits einen coolen Gitarrensound erzielen kann. „Ich finde es Klasse!“ und das ist es auch. Denn entgegen jeder Gatekeeping-Mentalität ist es so einfach wie nie zuvor, auch ohne großes Budget Musik zu machen. Das Ergebnis kann dabei sowohl organisch, als auch unorganisch sein.
https://www.youtube.com/watch?v=VIeO4GGbxIs
Nergal, der nostalgische Metal-Romantiker
Die Frage, die man sich als jemand wie Nergal stellen sollte, ist: „Ist es überhaupt ein organischer Sound, der gehört werden will?“ – oder ist es viel mehr ein nostalgischer Blick eines Mannes, dessen Generation den Metal mitgeprägt hat – hin zu einem Genre, das immer moderner wird und sich so auch jungen Menschen öffnet.
Ein Grund dafür ist auch, dass uns vieles als fremd erscheint, das aus der geformten Ästhetik fällt. Ein dissonanter Ton wird als „schief“ und „falsch“ empfunden. Dissonante Musik, wie Zwölftonmusik, ist in vielen Kreisen verhasst, da sie nicht dem ästhetischen Empfinden entspricht und sich dem Perfektionismus der Harmonielehre entzieht. So ist etwa die dissonante Musik von Bands wie Nightmarer, Noise Trail Immersion oder Dodecahedron kaum etwas, das von vielen als wohlklingend empfunden wird.
Wäre die Doublebass einer Metal-Produktion nicht tight, sondern sloppy – würde man es als Fehler auffassen. Übrigens auch bei Behemoth. Ein kratziger Gitarrensound? Sicherlich nicht jedermanns Sache. Und Synthies? Nunja, muss man mögen. Denn am Ende ist es immer eine Sache des Gescmacks, beziehungsweise der Ästhetik.
Seelenlose Musik
Natürlich lässt sich darüber diskutieren, ob manche Musik aufgrund ihrer Modernität noch mit Herz und Seele versehen ist. Ob Technical Death Metal beispielsweise noch organisch erscheint, ist in vielen Fällen debattierbar.
Hört man sich Bands wie The Zenith Passage an, ist jedes kleine Detail bis in die letzte Ecke glattpoliert. Ein organischer Sound? Fehlanzeige! Vielmehr könnte diese Musik komplett digital erzeugt werden. Doch auch das ist eine Ästhetik, die vielen Menschen gefällt. Vielleicht gerade, weil es so perfekt ist und der Mensch nach Perfektion strebt?
Gibt es überhaupt noch organischen Metal?
Die Antwort ist ja. Denn entgegen der Aussage des Behemoth-Sängers schwimmt nicht jede Band im gleichen Teich. Auch mit Blick auf die Death und Black Metal-Szene in der sich Behemoth bewegen, gibt es Bands, die weitaus organischer klingen, als die Polen.
Bands wie Imperial Triumphant oder Oranssi Pazuzu gelingt es, einen durchweg organischen Sound zu erschaffen, der sich auf außergewöhnliche Instrumentation einlässt und aufgrund musikalischer Raffinesse nicht zu Tode editiert werden muss. Auch Bands wie Amenra setzen mit ihrem brachialen sowie fragilen Post-Metal Sound gewissermaßen auf einen Ansatz, der sich dem Perfekten entzieht.
Weitere Beispiele finden sich bei Wolves In The Throne Room, Ulcerate, Krallice, Birds In Row, Oathbreaker, die allesamt (zumindest aus meiner subjektiven Perspektive) einen weitestgehend organischen Sound liefern. Die Liste ist lang und nur ein Auszug dessen, was meinerseits als organisch empfunden wird.
Und wie organisch sind eigentlich Behemoth?
Nunja … Natürlich bemüht sich die polnische Band um einen Sound, der düster und nach Metal klingt. So knüpfte man mit „I Loved You At Your Darkest“ an die frühen Black Metal-Wurzeln der Band an. Hoch dynamisch ist die Musik von Behemoth aber noch nie gewesen. Auch orchestrale Aspekte auf „Opvs Contra Natvram“ ändern nicht allzu viel an dieser Tatsache.
Sicherlich ist Behemoth keine Band, die bis ins letzte Detail tot-editiert ist, wie etwa moderne Popproduktionen. Auch von der Perfektion des Post-Hardcore und Metalcore ist die Band weit weg und entfernt sich klanglich auch von der modernen Ästhetik, wie man sie bei Lorna Shore beispielsweise findet.
Aber selbst Alben wie „Demigod“ folgen einer musikalischen Präzision, die sicherlich in gewissen Punkten auf ihr damaliges Level optimiert wurde. Dennoch klingt auch „Demigod“ organischer als neuere Produktionen der Band, die sich einer gewissen Perfektion unterwerfen und zwar einen organischen Instrumenten-Sound aufweisen, aber wohl kaum das Maß aller Dinge sind.
Kritik aus der Community
„Witzig, grade Behemoth mit ihrer Mörder-Laser-Show und ihrem digital-Sound in Verbindung mit Nergals unemotionalen Monoton-Gesang habe ich immer als Robotor-Dark-Metal Bezeichnet….“ – Björn A. auf Facebook
Zurecht kritisieren MoreCore-Leser:innen, dass sich Behemoth mit einem modernen Gitarrensound und aufwändigen Lasershows auch vom organischen Konzept einer Black Metal-Band weit entfernt haben. Es wirkt beinahe perfide, dass Kollegin Laura im Fazit ihrer Rezension zu „Opvs Contra Natvram“ folgendes befand:
„Mit „Opvs Contra Natvram“ stellen sich Behemoth weiter gegen die Konventionen des Black Metal und sorgen mit einprägsamen Parts und catchy Riffs für eine besondere Mischung.“
Denn diese Aussage steht im Clinch mit Nergals Eigenwahrnehmung. Die Wahl des Produzenten sei mit Joe Barresi wohl deshalb gefallen, weil er es versteht, einen organischen Sound zu wahren. Im Grunde genommen müsste sich Nergal aber eingestehen, dass sich der Sound des Albums ebenfalls kaum von gängigen Produktionen in diesem Genre abhebt. Zumindest nicht in punkto Organik. Denn ein Part wie der Spoken Word Part bei „Thy Becoming Eternal“ ist vollgepackt mit Effekten und hat mit einem organischen Sound nur wenig zu tun.
Behemoth als Teil des Problems
Klar, Behemoth haben ihren eigenen Sound und diesen über viele Jahre geprägt. Es gibt etliche Nachahmer, die sich an diesen Sound anlehnen, aber gerade deshalb sind Behemoth ein Teil des Problems. Doch eins ist sicher: sollte die Band nicht in der Lage sein, es in einer gewissen Perfektion zur Bühne zu bringen, schießt sich die Band ein Eigentor.
„Heutzutage spricht man mit jeder Band, und jede Band – im wahrsten Sinne des Wortes – Heavy-Metal-Band, Thrash, Death, was auch immer, sagt: ‚Oh, wir haben es geschafft, diesen organischen Sound zu bekommen.‘ Und dann höre mir diese Platten an und denke: ‚An dieser Platte ist nichts organisch. Neunundneunzig Prozent der Platten klingen roboterhaft. Jeder verdammte Klick, jeder Kick, jede Snare Drum, jeder Teil der Platte ist genau gleich. Das ist nicht organisch. Organisch ist, wenn die Musik schwankt, wenn es Dynamik gibt, wenn es hoch und runter geht.“
Mit dieser Aussage sind Behemoth nun in der Bringschuld. Mit dem aktuellen Gratmesser „Opvs Contra Natvram“ ist es schon nicht wirklich gelungen, diese Aussage zu konsolidieren. Sollten Behemoth an ihrem Sound festhalten, kritisiert sich Nergal künftig selbst. Ob Behemoth mit einem noch stärkeren „Old-School-Mix“ funktionieren, sollte außer Frage stehen – die Frage ist aber, sind Behemoth mit ihrem Sound überhaupt das, was heutzutage gefragt ist, oder fühlt sich ein Musiker wie Nergal unfair behandelt, weil moderne Produktionen gefragter sind? Um nicht zu sagen:
Ist es überhaupt ein organischer Sound, der von den Fans gehört werden will? Oder ist Nergal bloß ein Nostalgiker mit „Früher war alles besser-Attitüde“?
Die Zukunft lässt es mit Spannung erwarten. Denn sollte Nergal so überzeugt von einem Retrosound sein und davon, dass jede Band heutzutage gleich klingt, steht mit Behemoth der erste Schritt noch aus …
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Pia Böhl (piaboehl)
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