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Interview
Highly Suspect: „Ich fühlte mich innerlich leer als Künstler, ich konnte das einfach nicht mehr.“
Schlagzeuger Ryan Meyer im Interview über die Selbstfindung der Band.
VON
Lisa Kaiser
AM 21/07/2024
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Die Cape Cod-Bluesrocker Highly Suspect haben am Freitag ihr fünftes Studioalbum “As Above, So Below” von der Leine gelassen. Nur zwei Jahre, nachdem sie mit dem experimentellen Album “The Midnight Demon Club” für Aufregung sorgten. Doch trotz der kurzen Zeit hat sich einiges bei der Kombo um Johnny Stevens verändert – immerhin entstand die Platte aufgrund der Pandemie komplett voneinander getrennt. Im Interview mit MoreCore.de verrät Schlagzeuger Ryan Meyer: “Wir waren ein ganzes Jahr lang zusammen, als wir mit dem Album auf Tour waren. Als wir dann im Sommer ins Studio gingen um [‚As Above, So Below‘] aufzunehmen, waren wir dazwischen auf Tour. So haben wir die Bindung und das kreative Element nicht verloren.”
Highly Suspect: Wie die Beziehung innerhalb der Band ihre Musik beeinflusst
Diese Verbindung untereinander ist für die Musik besonders wichtig, denn er ergänzt: “Oft gehen Bands auf Tour, machen eine Pause und kommen dann zurück, um eine Platte aufzunehmen. Das kann natürlich funktionieren. Aber ich habe das Gefühl, wenn wir das tun, verlieren wir die Verbindung, die wir über die Zeit aufgebaut haben, und das wirkt sich auf die Musik aus.”
Verbringt man so viel Zeit untereinander, sind Streitereien und Meinungsverschiedenheiten allerdings keine Seltenheit. “Es ist lustig, wie leicht es ist, die guten Zeiten zu vergessen und sich an die schlechten Zeiten zu erinnern”, lacht der Schlagzeuger, als er auf die gemeinsame Zeit im Studio zurückblickt. Doch er fügt hinzu: “Ich will nicht negativ sein, ich denke, dass in den schlechten Zeiten, obwohl sie traumatisch sind, der meiste Wert liegt.”
Und dazu gehören auch “eine Menge Gespräche” und “eine Menge rausstürmen“. “Die Band hätte sich ein paar Mal fast aufgelöst”, gesteht Ryan und fährt fort: “Wir sind jetzt schon so lange zusammen, dass es schwierig war [die jahrelange Beziehung zu verarbeiten]. Aber wir haben uns gezwungen, uns unseren Problemen direkt zu stellen. Da gab es kein Entrinnen. Und als wir das überwunden hatten, nahm die Platte einfach Fahrt auf und wir machten große Fortschritte.”
Ryan Meyer, sein Bruder und Bassist Rich Meyer und Sänger Johnny Stevens gehen immerhin schon seit der Gründung der Band im Jahr 2009 durch dick und dünn.
Nachdem die Band einmal reinen Tisch machte, „war die Dynamik so gut wie schon lange nicht mehr”. Ein Grund, warum Ryan “As Above, So Below” für das beste Album von Highly Suspect hält. Dazu kommt, dass die Band während des Tourens in den letzten Monaten eine “Menge Erfahrung” sammelte: “Wir waren ein Jahr lang auf Tournee, also war unsere musikalische Praxis so gut geölt, wie es nur möglich war.”
„As Above, So Below“ – der Daumenabdruck der Band
Ja, diesmal schien alles einfach glatt zu laufen und der Schlagzeuger steht mit voller Begeisterung hinter der neuen Platte: “Das ist das beste Album, das wir je gemacht haben”, schwärmt er. “Auch wenn ich enttäuscht wäre, wenn Kritiker dieses Album zerreißen, würde ich es immer noch lieben. Ich liebe das Kunstwerk, weil es der Band treu ist. Wir haben keine anderen Songschreiber engagiert, die uns helfen sollten, einen Hit zu schreiben. Und ging es auch nicht um Geld. Wir haben nicht darauf geschaut, wer an der Spitze der Charts stand und wohin die Trends gingen. Wir haben ein Album gemacht, das unserer Kunst treu ist und wir haben eine sentimentale Bindung daran.”
Das Ergebnis dieser Treue zeigt sich im Sound, auf welchen Highly Suspect zurück zu ihren Wurzeln kehren, kombiniert mit der Erfahrung, die sie bis zu diesem Zeitpunkt sammeln konnten. Für Ryan und Johnny gab es zu Beginn nur zwei Optionen: “Entweder die Band macht gar kein Album oder wir machen ein Album, das eine Momentaufnahme dessen ist, was die Band ausmacht. Der Daumenabdruck der Band”, erklärt der Schlagzeuger.
Und da die Herren mit Grunge, Punk und Blues aufgewachsen sind, ist es kein Wunder, dass diese Genres auch auf “As Above, So Below” abfärben. Dass es aber auch ein Risiko mitbringt, das Album ohne bestimmte Richtung anzugehen, ist Ryan durchaus bewusst:
“Es gibt so viele großartige Künstler:innen und so viele großartige Songs, bei denen die Musiker:innen mit hochkarätigen Produzenten zusammenarbeiten, die für einen unglaublichen Sound sorgen. Das sind die Songs, die in den Charts ganz oben stehen. Anstatt mit ihnen zu konkurrieren und stattdessen etwas zu machen, was einfach nur echt ist, sind wir ein großes Risiko eingegangen. Ich hatte einfach das Vertrauen, dass uns die Musik, die wir [alleine] schreiben, gefallen würde. Und wenn sie uns gefiel, dann würden sie die Leute auch lieben.”
Künstlerische Freiheit und glückliche Zufälle sind die Essenz des neuen Albums
Diesmal alles selbst in die Hand zu nehmen, war dem Schlagzeuger besonders wichtig: “Ich wollte nicht mehr, dass irgendein Produzent meine Schlagzeugparts schreibt. Es fühlt sich einfach so hohl an, in einen Raum zu gehen, in dem zwei Leute einen Song geschrieben haben und sagen ‚Hier ist dein Part, hier ist der Song‘, von dem du dann sagen musst, dass es dein eigener ist. Ich fühlte mich einfach innerlich leer als Künstler, ich konnte das einfach nicht mehr.”
Stattdessen arbeitete die Band mit dem Tontechniker und Co-Produzenten Aleks von Korff zusammen – technischer Produzent von Muse und Betreiber deren Studio in Kalifornien. Ryan betont allerdings, dass diese Zusammenarbeit reiner Zufall war und alles andere als geplant: “Wir sind ganz natürlich in diese Situation hineingeraten”. So erzählt er, dass er auf der gemeinsamen Tour mit Muse des Öfteren mit Schlagzeuger Dom Howard ins Gespräch kam. Am Ende der Tour bot dieser Highly Suspect Muse privates Studio in Santa Monica an – die Band sagte sofort ja.
Dort trafen sie auf Aleks von Korff. “In der ersten Woche hat Aleks gar nichts gesagt, es sei denn er wurde von uns angesprochen”, führt Ryan fort. “Irgendwann fingen wir an, ihm ein paar Fragen zu stellen und seine Antworten waren einfach so eloquent, durchdacht und gebildet, dass wir es uns nicht verkneifen konnten, ihm weitere Fragen zu stellen. Und so entstand eine Arbeitsbeziehung, ohne dass die Führungskräfte der Branche dies arrangierten. Es hat sich einfach so entwickelt.”
Die Geschichte vom wiedergeborenen Phönix
Wie auch die bisherigen Platten, erzählt das fünfte Album von Highly Suspect eine Geschichte aus dem Leben von Johnny Stevens. “Er [Johnny] war an einem Ort, an dem es ihm sehr schlecht ging. Er hatte eine schlimme Trennung hinter sich. Er war selbstmordgefährdet“, verrät Ryan, um einen besseren Einblick in die Thematik der neuen Platte zu geben. “Er hatte eine Lebenseinstellung, bei der es ihm egal war, ob er lebt… und er hatte ein brandneues Dirt-Bike. Es war eine gefährliche Kombination.”
“[Johnny] schreibt darüber, wie er in die Wüste fährt, Pilze nimmt, mit seinem Dirt-Bike stürzt und meilenweit durch die Wüste läuft und sich tatsächlich so fühlt, als würde er sterben.”, führt Ryan fort und spielt damit auf die Leadsingle “Summertime Vodoo” an. Die Band wusste nicht, ob ihr Sänger den letzten Sommer überleben würde.
Doch die Geschichte hat ein Happy End: “Wie in der alten Geschichte vom Phönix ist [Johnny] sozusagen ausgebrannt und durch die Asche ein besserer Mensch geworden. Er ist glücklicher, er ist wieder lustig. Wir haben Johnny zurück.” Für Ryan ist der Kern des neuen Albums genau diese Geschichte: Der Wandel von Rücksichtslosigkeit bis zu dem Punkt “das Leben wieder zu lieben und leben zu wollen.”
Diese persönliche und ehrliche Erzählweise drückt sich auch durch den Sound von “Summertime Vodoo” aus. Die Single entstand nämlich aus einer Demo:
“Der Song ist von Anfang bis Ende ein One-Take. Wir waren eigentlich nur am jammen, um die Parts am Ende noch einmal zu feinabstimmen. John gefiel dieser Take und nahm einfach die Vocals dazu auf. Und fertig war der Song”, erklärt der Schlagzeuger. “Es ist irgendwie cool, weil es einen sehr rohen, unverfälschten Schnappschuss der Band zeigt.”
Sein persönlicher Lieblingssong ist allerdings “Suicide Machine”: “Ich bin mit Punkrock aufgewachsen und ich mag einfach Songs, die mein Blut in Wallung bringen”, verrät Ryan. “Ich habe mehrere Versuche gebraucht, den Song in einem Durchlauf zu spielen und ich habe dabei einfach so geschwitzt. Das war schon immer meine liebste Art Schlagzeug zu spielen.”
Über Zukunftspläne und Jubiläen
Auch wenn Highly Suspect erst letztes Jahr die hiesigen Clubhallen verzauberten, plant die Band jetzt schon ihren nächsten Besuch in Europa. “Konkrete Pläne haben wir noch nicht, aber wir arbeiten daran”, fängt Ryan an. “Wir kommen vielleicht rüber, um ein paar Fans zu treffen und akustische Sachen zu spielen.” Etwas sicherer sind wohl die Pläne für das Jahr 2025: “Ich denke, nächstes Jahr werden wir definitiv eine große Tour in Europa und Großbritannien spielen.”
Bevor es aber wieder über den großen See geht, planen Highly Suspect eine besondere Weihnachtsüberraschung: “Wir haben das Vinyl von ‚Mister Asylum‘ und ‚Boy Who Died Wolf‘ nachgedruckt. Wir haben gemerkt, dass die Leute wirklich interessiert an diesen Alben sind, also haben wir einen Haufen davon gedruckt. Der Plan ist, sie über Weihnachten auf den Markt zu bringen.”
Immerhin feiert ihr Debütalbum “Mister Asylum” nächstes Jahr auch 10-jähriges Jubiläum. Rückblickend auf die Anfangszeit der Band, wäre Ryan von damals sehr stolz darauf, wo der Schlagzeuger heute steht. “Als wir dieses Album [‚Mister Asylum‘] schrieben, war ich sehr unerfahren. Ich hatte nicht genug Erfahrung und Durchsetzungsvermögen, etwas abzulehnen, von dem ich im Herzen wusste, dass ich es nicht so machen wollte. Sei es der Klang des Schlagzeugs, ein bestimmter Fill, ein Beat oder das Tempo. Ich wurde also im Studio viel herumgeschubst.”, erklärt der Musiker.
“Bei diesem Album [‚As Above, So Below‘] habe ich endlich das erreicht, was ich die ganze Zeit machen wollte. Nämlich Dinge so zu spielen, wie ich sie spielen will. Ich bin dankbar für diese Erfahrungen, denn sie haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Aber ich werde so etwas nie wieder tun. Ich denke dass ich, Ryan von vor 10 Jahren, sehr stolz und glücklich gewesen wäre, zu wissen, dass ich irgendwann erwachsen werde und genug Erfahrung haben würde, um auf eigenen Füßen zu stehen und zu sagen: ‚Nein, das will ich nicht und das muss ich nicht tun‘.”
Foto: Jimmy Fontaine / Offizielles Pressebild
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