Live
Hardcore
Live bei: Speed in Köln (22.10.2024)
Schellenzeit im Gebäude 9.
VON
Malin Jerome Weber
AM 28/10/2024
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“Don’t take this shit too seriously.” Es könnte so einfach sein, wenn sich die Hardcore-Szene nicht doch immer wieder als zweischneidiges Schwert entpuppen würde. Seien es mangelnde Inklusivität, mangelnde Diversität oder die Tough Guy-Attitude von so manchen fuchtelnden Männern im Pit: Speed-Sänger Jem Siow ist sich dieser Umstände bewusst und nutzt den auf ihrer Tour eröffneten Raum, um nochmal auf ein paar grundlegende Prinzipien hinzuweisen: “It’s about the people, it’s about the friendships, it’s about the connection.” Hier schließt sich der Kreis zur Band selbst, die er als seine besten Freunde festhält, sowie zum internationalen Line-Up, das sich aus ganzen fünf Bands aus vier unterschiedlichen Ländern zusammensetzte.
Die Menge an Hardcore-Shows, bei denen solche Ansagen als blutleere Parolen stehenbleiben, ist mit Sicherheit endlos lang. An Abenden wie diesen fällt es jedoch schwer, nicht zumindest in Ansätzen daran zu glauben, dass sich Dinge verändern können. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sich auf der Bühne eine ganze Menge an PoC’s und eine FLINTA*-Person herumtummelten. Auch im Publikum und allen voran in der Gefahrenzone im vorderen Drittel waren es bei Weitem nicht nur Männer, die einen Two Step und einen High Kick nach dem anderen hinlegten. Und in genau diesem Bereich herrschte trotz aller Härte ein guter Vibe. Side2Side-Action mit einem fetten Grinsen im Gesicht? Wonderful World-Drummer Mulle Schmitz macht’s möglich.
Starkes Aufwärmprogramm
Seine gute Laune ließ sich relativ einfach erklären. Gleich zum frühen Start um 19 Uhr war das Gebäude 9 schon gut gefüllt, während er mit seiner Band die zackigen und wutgeballten Songs ihrer aktuellen EP “Universal Tension” (2024) auf uns abfeuerte. Spätestens bei den thailändischen Abrissbirnen von Whispers kochte der Saal, in dem das Quintett ihren knochenzerschmetternden Evilcore wüten ließ. Etwas grooviger aber bei weitem nicht weniger wild ging es dann bei Life’s Question zu, die die Crowd mit dem Versprechen auf ein Liebeslied noch weiter an die Bühne heran lockten. Ob eine Band nun aus Köln, Bangkok oder Chicago kommt: Hardcore hat eine eindeutigere Sprache als andere Genres, die überall auf der Welt gleich verstanden wird.
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Robin Wolframm (robinwolframm)
End It
“What does ‘Fuck the Police’ mean in Dutch?”. Wo wir gerade bei eindeutiger Sprache waren! Auch bei Themen und Botschaften gibt es große Überschneidungen und End It knüpfen genau dort an, wo Wonderful World mit “Compliance” aufgehört haben. Sänger Akil Godsey gab uns zu seinen Anliegen jedoch auch noch die Bitte mit, Unstimmigkeiten doch gleich im Anschluss mit ihm auf dem Parkplatz zu diskutieren, anstatt später Zuhause über ihn abzustänkern. Aber egal, ob man sich mit seinen Weltansichten identifizieren konnte oder nicht: Wohl kaum jemand dürfte dieses kurzweilige und humorvolle Set nicht genossen haben, dass der sympathische Fronter noch mit einer A cappella-Zugabe des Elton John-Klassikers “Your Song” beendete.
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Robin Wolframm (robinwolframm)
Speed
Wer hätte gedacht, dass der letzte Sound, den man vor seinem Tod hören würde, eine Querflöte ist? Mit den ersten drei Tracks ihrer aktuellen Platte “ONLY ONE MODE” (2024) eröffneten Speed das muntere Treiben und machten dem feierwütigen Publikum innerhalb weniger Augenblicke klar, wie der Hase in den nächsten 35 Minuten zu laufen hat. Sänger Jem Siow wusste aber auch genau, wie er die Leute anstacheln musste. So war eigentlich keine zweite Bitte à la “Rhineland Hardcore, fucking represent” nötig, um aus ihren Fans das letzte bisschen an Energie nach vier Bands, 9-to-5 oder dem tagtäglichen Studi-Wahnsinn herauszuquetschen. Jegliche Provokation glich Siow immer wieder mit einem breiten Grinsen und seiner schieren Freude über den Abend aus.
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Robin Wolframm (robinwolframm)
“I recognize some of you from Oberhausen!”. Auch wenn ihnen ihre Überwältigung schon mitten ins Gesicht geschrieben stand, bildete es einen schönen Moment, wie Speed aufrichtig beteuerten, dass sie ihren aktuellen Erfolg nicht als selbstverständlich betrachten würden. Dass sich die Australier auch den ganzen Abend als Feature-Gäste oder aufmerksame Zuschauer am restlichen Geschehen beteiligten, machte die Band nur noch liebenswerter. Gegen Ende des Sets näherte sich dann endlich der Moment, auf den sich ein Großteil der Crowd schon den ganzen Abend gefreut hatte. Ihr viraler Hit “THE FIRST TEST” wurde wie auf dem Album nahtlos an “ONLY FOES…” gekoppelt und trieb das Geschehen noch ein letztes Mal auf die Spitze.
Fotos im Auftrag von MoreCore.de: Robin Wolframm (robinwolframm)
Mit “Not That Nice” beendeten Speed einen Konzertabend, in dem so viel mehr drin steckte als in zahlreichen anderen. Siow’s Aussage “Hardcore is fucking crazy right now” bringt aber vieles auf den Punkt, was uns aktuell durch den Kopf geht. Dass sich zeitgleich zum Geschehen im Gebäude 9 auch eine große Menge an Leuten im Franzmann in Düsseldorf bei einer Show der DIY-Konzertgruppe Side2Side befand (ich wiederhole: an einem Dienstag!), unterstreicht einmal mehr den post-pandemischen Aufschwung des Genres. Turnstile ermöglichen als Gateway-Band ihren Kolleg:innen eine größere Reichweite, während auf kleiner Ebene die lokalen Shows zurückkehren. Jetzt gilt es nur noch, in diesen neuen Räumen die richtigen Grundsätze zu verbreiten – wie es auch Speed tagtäglich versuchen.
Aufzeichnungen der kompletten Sets von Speed, Whispers und End It findet ihr hier:
Beitragsbild im Auftrag von MoreCore.de: Robin Wolframm (robinwolframm)
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